Was das neue Lieferkettengesetz liefert – und was nicht

Cover: Analyse der Initiative Lieferkettengesetz
Eine Analyse der Initiative Lieferkettengesetz

Das neue „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ ist da! Aber was genau verbirgt sich hinter dem Wortungetüm? Die folgende Analyse zeigt: Im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Lieferketten sind wir noch lange nicht am Ziel, aber mit dem neuen Gesetz sind wir endlich am Start.

Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) tritt 2023 in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter*innen, ab 2024 dann für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland. Das Gesetz verpflichtet diese Unternehmen, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards nachzukommen.

Das Gesetz bezieht sich auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP). Die UNLP gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Unternehmensverantwortung für die Menschenrechte. Im Sinne der UNLP verfolgt das LkSG das Ziel, die Rechte von Menschen entlang von globalen Lieferketten gegenüber Unternehmen zu stärken.

Das Gesetz ist eine Antwort auf die verheerenden Vorfälle, an denen deutsche Unternehmen in den letzten Jahren bei ihren Auslandsgeschäften direkt oder indirekt beteiligt waren. Wiederkehrende Berichte über brennende oder eingestürzte Fabriken, ausbeuterische Kinderarbeit oder zerstörte Regenwälder haben gezeigt: Freiwillig kommen viele Unternehmen ihrer Verantwortung in globalen Lieferketten nicht ausreichend nach. Studien der Europäischen Kommission (1) und zuletzt der Bundesregierung (2) haben das bestätigt.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Initiative Lieferkettengesetz im September 2019 als breites zivilgesellschaftliches Bündnis gegründet und seitdem von der Bundesregierung gefordert, noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz zu verabschieden. Dieses müsse zwei Ziele verfolgen:

  1. Unternehmen vermeiden Schäden an Mensch und Umwelt, indem sie vorsorgende Maßnahmen ergreifen.
     
  2. Betroffene erhalten leichter eine Wiedergutmachung, wenn ein Schaden eingetreten ist.

Das am 11. Juni 2021 verabschiedete deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist ein politischer Kompromiss. Als solcher umfasst er eine Reihe von Punkten, die aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zu begrüßen sind, da sie das Potenzial haben, zu einer größeren menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt von Unternehmen in ihren Lieferketten beizutragen. Gleichzeitig greift der Kompromiss an vielen Punkten deutlich zu kurz, wodurch das Gesetz nicht wirksam genug ist und nicht ohne weiteres als Vorbild für ein europäisches Lieferkettengesetz dienen kann. Nachfolgend gehen wir in den Abschnitten „Endlich am Start“ und „Noch nicht am Ziel“ auf diese Punkte im Einzelnen ein.

ENDLICH AM START…

Mit den folgenden Punkten leistet das Gesetz einen wichtigen Beitrag gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Lieferketten von Unternehmen:

  1. Das Gesetz leitet in Deutschland einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel ein: Weg von rein freiwilliger Corporate Social Responsibility hin zu verbindlichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben für Unternehmen. Es dient dem umfassenden Schutz der Menschenrechte und damit überragend wichtigen Rechtsgütern und sieht die Sorgfaltspflicht von Unternehmen grundsätzlich entlang der gesamten Lieferkette vor.
     
  2. Das Gesetz entfaltet präventive Wirkung, indem Unternehmen ihr Verhalten ändern und Schäden an Mensch und Umwelt durch vorsorgende Maßnahmen vorbeugen müssen. So sind sie zum Beispiel dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten (§3). Dazu gehört, dass sie ein wirksames Risikomanagement (§4) einrichten und entweder systematisch für den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare Zulieferer oder anlassbezogen für mittelbare Zulieferer, Risikoanalysen durchführen, um Risiken für Mensch und Umwelt zu erkennen und Verletzungen vorzubeugen, zu beenden oder zu minimieren.
     
  3. Das Gesetz schafft eine starke behördliche Kontrolle und Durchsetzung. Verstoßen Unternehmen gegen ihre Sorgfaltspflichten, handeln sie ordnungswidrig und können von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA), mit Bußgeldern belegt werden, die sich an der Schwere des Vergehens wie auch an dem Gesamtumsatz des Unternehmens orientieren. Bei erheblichen Verstößen gegen das Sorgfaltspflichtengesetz ab einer Bußgeldhöhe von mindestens 175.000 Euro ist ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorgesehen. Das Gesetz sieht also staatliche Maßnahmen vor, damit die Sorgfaltspflichten auch tatsächlich eingehalten werden.
     
  4. Durch das Gesetz können Betroffene verlangen, dass das BAFA tätig wird. Wenn Betroffene gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geltend machen, dass ihre Rechte durch die Nicht-Erfüllung der Sorgfaltspflichten eines Unternehmens verletzt oder unmittelbar bedroht werden, so muss das BAFA tätig werden und prüfen, ob ein Verstoß vorliegt und darauf hinwirken, dass das Unternehmen diesen beseitigt.
     
  5. Das Gesetz führt eine Prozessstandschaft ein. Betroffene können zukünftig NGOs und Gewerkschaften über die bereits bestehenden Klagewege dazu ermächtigen, dass diese ihre Rechte im eigenen Namen vor deutschen Gerichten einklagen. Das kann Hürden für den Zugang von ausländischen Betroffenen zu deutschen Gerichten reduzieren – etwa die hohen Kosten solcher Verfahren oder bei drohender Verfolgung Anonymität gewährleisten.
     
  6. Das Gesetz regelt einige wenige umweltbezogene Pflichten, die sich aus drei von Deutschland ratifizierten Übereinkommen ergeben, die im Wesentlichen jedoch auf den Schutz der menschlichen Gesundheit abzielen. Diese sehen die Vermeidung von langlebigen Schadstoffen (POP-Konvention) und von Quecksilber-Emissionen (Minimata-Abkommen) sowie die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen (Basler Übereinkommen) vor. Über die Abkommen hinaus erfasst das Gesetz die Schutzgüter Boden, Wasser und Luft im Rahmen der menschenrechtlichen Risiken.
     
  7. Anwendungsbereich und Umweltpflichten sind umfassender als beim Regierungsentwurf. Das Gesetz soll nun auch ausländische Unternehmen erfassen, die in Deutschland eine Zweigniederlassung mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden (ab dem 1.1.2024 über 1.000 Mitarbeitenden) haben. Klargestellt wurde außerdem, dass zumindest die Tochterunternehmen zum eigenen Geschäftsbereich der Mutter gehören, insofern diese einen bestimmenden Einfluss ausüben. Und mit dem Basler Übereinkommen zu gefährlichen Abfällen wurde ein drittes Umwelt-Übereinkommen in den umweltbezogenen Pflichtenkatalog aufgenommen.
     
  8. Betriebsräte mit Wirtschaftsausschüssen erhalten neue Rechte. Mit Inkrafttreten des Gesetzes bekommen sie einen Unterrichtungs- und Beratungsanspruch zu Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Damit können die gewählten Interessenvertretungen der Beschäftigten über Unternehmensgrenzen hinweg für die Stärkung von Sozialstandards, Menschenrechten und Umweltpflichten wirken.

… ABER NOCH NICHT AM ZIEL:

Das Gesetz wurde an vielen entscheidenden Stellen abgeschwächt – auf massiven Druck einiger Wirtschaftsverbände, des CDU-Wirtschaftsrats und des Bundeswirtschaftsministers. Durch diese Schwachstellen büßt das Gesetz an Wirksamkeit ein und fällt in Teilen hinter die UNLP zurück. Die folgenden Punkte sorgen dafür, dass das Gesetz nicht wirkungsvoll genug ist:

  1. Die Sorgfaltspflichten gelten vollumfänglich nur für den eigenen Geschäftsbereich und für unmittelbare, nicht aber für mittelbare Zulieferer. Bei mittelbaren Zulieferern müssen Unternehmen nicht proaktiv und systematisch, sondern nur anlassbezogen eine Risikoanalyse durchführen, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ über eine mögliche menschenrechtliche Verletzung erlangen. Diese Einschränkung ist mit dem Präventionsgedanken der UNLP unvereinbar. Es ist bekannt, dass ein Großteil der Menschenrechtsverletzungen gerade am Beginn der Lieferketten, also im Bereich der mittelbaren Zulieferer, zu verzeichnen ist. Ohne systematische und vorausschauende Analyse möglicher - auch nicht öffentlich bekannter – Risiken, können Unternehmen diese auch nicht angemessen vermeiden.
     
  2. Es fehlt eine zivilrechtliche Haftungsregel, wonach Unternehmen für Schäden haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben. Der Gesetzgeber versäumt dadurch, die Rechtsschutzmöglichkeiten von Betroffenen im Sinne der UNLP zu verbessern. Geschädigte sind weiterhin so gut wie chancenlos, wenn sie deutsche Unternehmen vor deutschen Zivilgerichten wegen Menschenrechtsverstößen zur Verantwortung ziehen wollen. Durch das Fehlen einer Haftungsregelung entfällt zudem die abschreckende und damit vorbeugende Wirkung auf Unternehmen.
     
  3. Das Gesetz berücksichtigt Umweltaspekte nur marginal, eine eigenständige und umfangreiche umweltbezogene Sorgfaltspflicht fehlt. Das Gesetz beschränkt die umweltbezogenen Pflichten auf eine vermeintlich abschließende Auflistung von drei Übereinkommen. Ein solcher Ansatz reicht aber nicht aus, um dem Präventionsgrundsatz des Umweltrechts gerecht zu werden, weswegen eine schadens- und umweltgutbezogene Generalklausel eingeführt werden sollte. Zwar erfasst das Gesetz bisher die Schutzgüter Boden, Wasser und Luft im Rahmen der menschenrechtlichen Risiken, massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust werden hingegen nicht erfasst, auch das Klima findet keine Berücksichtigung als Schutzgut.
     
  4. Die Regelungen für eine wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung für Betroffene sowie eine Beteiligung von Betroffenen am Verfahren greifen zu kurz. Wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung für Betroffene spielen in den UNLP eine zentrale Rolle. Dabei geht es nicht nur um Schadenersatzklagen, sondern auch um die Wiedergutmachung als eigener Bestandteil der Sorgfaltspflichten. Das Gesetz sieht hingegen gar nicht vor, dass Betroffene über eine Beschwerde auch Wiedergutmachung erlangen können. Lediglich im Rahmen der Bemessung der Geldbuße in § 24 Abs. 4 Nr. 7 werden Wiedergutmachungsbemühen von Unternehmen berücksichtigt. Die UNLP sehen zudem vor, dass Unternehmen Konsultationen mit potenziell betroffenen Gruppen durchführen, um ihre menschenrechtlichen Risiken einzuschätzen und wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Diese Konsultation Betroffener schreibt das Gesetz nicht zwingend vor.
     
  5. Die Anzahl der erfassten Unternehmen ist zu gering. Anstatt alle großen Unternehmen mit über 250 Mitarbeitenden sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Sektoren mit besonderen menschenrechtlichen Risiken in den Blick zu nehmen, erfasst der Gesetzentwurf nur Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden (ab 2024: mit über 1.000 Mitarbeitenden). Dabei können auch kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) erhebliche negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umweltbelange haben, wenn sie in einem Risikosektor tätig sind.
     
  6. Es bestehen große Lücken bei den Themen Geschlechtergerechtigkeit und indigene Beteiligungsrechte. So ist geschlechtsbezogene Gewalt und Diskriminierung nicht als Verbotstatbestand aufgeführt, obwohl solche schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen entlang von globalen Lieferketten weit verbreitet sind. Ebenso fehlt der Bezug zu indigenen Beteiligungsrechten nach der ILO-Konvention 169, obwohl Deutschland dieses Dokument gerade ratifiziert hat und indigene Völker besonderen Gefahren durch wirtschaftliche Großprojekte ausgesetzt sind.
     
  7. Das BAFA ist eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), das in den letzten Monaten ein ambitioniertes Lieferkettengesetz entscheidend blockiert hat. Bei der Arbeit der Behörde müssen daher Regelungen getroffen werden, um die Unabhängigkeit des BAFA vor einer politischen Einflussnahme durch das BMWi sicherzustellen. So sollte das BAFA seine Entscheidungen ausschließlich nach Kriterien der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten treffen und dabei unabhängig entscheiden, das heißt keinen Weisungen bei der Bearbeitung und Entscheidung von einzelnen Fällen unterliegen. Außerdem sollte ein Multi-Stakeholder-Gremium die Arbeit des BAFA begleiten.
     
  8. Verschlechterungen gegenüber dem Regierungsentwurf. Es wurde auf Druck von Teilen der CDU-Fraktion eine Klarstellung aufgenommen, dass das Lieferkettengesetz keine eigene haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage begründet. Diese Klarstellung ist aus menschenrechtlicher Perspektive falsch, da das Gesetz die Rechte der von Unternehmenstätigkeit Betroffenen stärken soll. Der deklaratorische Hinweis, dass das Gesetz keine Anspruchsgrundlage für Geschädigte schafft, widerspricht dieser Zielsetzung.

ZUSAMMENFASSUNG

Das neue Gesetz

  • leitet in Deutschland einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel: Weg von rein freiwilliger Corporate Social Responsibility hin zu verbindlichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben für Unternehmen.
     
  • legt Sorgfaltspflichten fest, die sich an den UNLP orientieren und grundsätzlich die gesamte Lieferkette erfassen.
     
  • legt Unternehmen bestimmte umweltbezogene Pflichten auf.
     
  • regelt eine solide behördliche Durchsetzung, nach der eine Behörde die Einhaltung der Sorgfaltspflichten kontrolliert und Nichteinhaltung sanktioniert. Dadurch sollen Unternehmen ihr Verhalten ändern und vorsorgende Maßnahmen ergreifen, um Schäden zu vermeiden.
     
  • unterläuft in Bezug auf die Reichweite der Sorgfaltspflicht, die Beteiligung von Betroffenen am Sorgfaltsverfahren sowie auf die Wiedergutmachung zum Teil die Vorgaben der UNLP.
     
  • schafft neben den bestimmten umweltbezogenen Pflichten keine Generalklausel, die auch Biodiversität und Klimaauswirkungen berücksichtigt.
     
  • schafft keine eigene Anspruchsgrundlage für Betroffene, um einfacher Schadensersatz für erlittene Schäden vor deutschen Gerichten einklagen zu können.

Die Initiative Lieferkettengesetz erwartet von der künftigen Bundesregierung, dass sie das Gesetz entsprechend nachbessert und dass sie sich auf EU-Ebene für ein Lieferkettengesetz einsetzt, das die oben genannten Schwachstellen behebt.


Fußnoten:
1 Link: https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/8ba0a8fd-4c83-11ea-b8b7-01aa75ed71a1/language-en
2 Link: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2405080/23e76da338f1a1c06b1306c8f5f74615/201013-nap-monitoring-abschlussbericht-data.pdf


 

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Analyse