Mehr Haftung für Unternehmen!

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Mehr Haftung für Unternehmen!

Verbraucherklagen und vereinigte Arbeitnehmer sollen Konzerne in die Pflicht nehmen

 

Sebastian Siegele arbeitet seit vier Jahren als Nachhaltigkeitsberater (sustainability agent) für deutsche Bekleidungsunternehmen im Ausland, vor allem in Asien. Bei sogenannten Audits prüft er, ob die Produktionsabläufe bei den Unternehmen und ihren Lieferanten sozialen und ökologischen Standards genügen.

Herr Siegele, Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern, dass bei der Produktion im Ausland soziale Standards eingehalten werden, zumindest die nationalen Arbeitsgesetze. Gelingt das in Ländern wie China, Indien oder Bangladesh, in denen Sie gearbeitet haben?

Leider nicht immer. Ich glaube, nirgends ist die Lücke zwischen Gesetzen und Realität so groß wie im sozialen Bereich. Aber durch Kontrolle alleine ist nichts getan. Das Problem in diesen Ländern ist, dass das Management-Know-How fehlt. Oft gibt es nicht mal eine Kostenkalkulation oder Kapazitätsplanung. D.h. die Unternehmer können gar nicht sagen, ob sie Geld haben werden, um die Arbeiter zu bezahlen oder ob Überstunden anfallen, um Liefertermine einzuhalten. So kommt es zu Wochenarbeitszeiten von 90 bis 100 Stunden.

Welchen Stellenwert hat soziale Verantwortung bei den Unternehmen?

Da gibt es widersprüchliche Tendenzen: Einerseits wird viel über soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit geredet. Auf der anderen Seite limitiert die Kurzfristigkeit des Finanzmarktes die Spielräume der Unternehmen. Sie sollen möglichst schnell Gewinne "raushauen", egal wie. Wenn die Renditen nicht alle drei Monate steigen, kauft der Aktionär andere Aktien.

Was muss getan werden, damit die Unternehmen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen?

Lohnhöhe, Arbeitszeit usw. müssen international geregelt werden. Wenn es keinen Regulierungsmechanismus gibt, können wir uns die ganze Globalisierung abschminken. Einzelnen Unternehmen sind enge Grenzen gesetzt, die Probleme individuell zu lösen. Sie müssen sich demnach zusammenschließen.

Wie soll diese Regulierung der Sozialstandards aussehen?

Wir haben jetzt die Chance, dass sich das über die Wirtschaft regelt: über öffentlichen Druck und den Verbraucher. Das ist in der Logik des Marktes und sehr effektiv. Denn wenn es ordnungspolitisch durchgesetzt würde, dann muss unglaublich viel investiert werden, in Kontrollmechanismen und Bürokratie. Damit geht Korruption einher. Sinnvoller wäre es, diese Ressourcen zur Lösung sozialer Probleme zu investieren, beispielsweise um Gesundheitssysteme aufzubauen.

Wie sehen Sie die Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGOs)?

Sie sind unersetzlich. Sie sind die Mittler, die die Informationen bereit stellen und in Zusammenarbeit mit den Medien den Verbraucher informieren, die Transparenz schaffen. Der Verbraucher kann dann Unternehmen bestrafen, die sich seiner Meinung nach nicht korrekt verhalten, indem er deren Produkte nicht mehr kauft. Davor haben die Unternehmen Angst. In Bangladesch wurde so beispielsweise innerhalb von 10 Jahren Kinderarbeit in der Textilbranche weitgehend abgeschafft. Dennoch ist das alles noch nicht ideal, es gibt erhebliches Verbesserungspotential.

Wie sehen Sie die Rolle des Staates?

Der Staat darf diese relativ positive Entwicklung nicht abwürgen. Er sollte keine Gesetze erlassen, die die Unternehmen wieder aus der Verantwortung entlassen. Letztendlich müssen intelligente Instrumente zum Einsatz kommen, die die Unternehmen weiter in die Pflicht nehmen.

Was gibt es da für Möglichkeiten?

Zum einen rechtliche Mittel, beispielsweise eine Ausweitung der Haftungspflicht. Produkte stehen heute nicht mehr nur für den praktischen Nutzen. Sie verkörpern ebenso "nicht greifbare" Produktmerkmale - "Lifestyle", ein bestimmtes Image, eine Markenidentität. Konsumenten zahlen auch dafür. Wer möchte schon mit seinen neuen Turnschuhen zum Gespött werden, weil dem Hersteller Menschenrechtsverletzungen nachgesagt werden? Verbraucher sollten Unternehmen auf Schadenersatz verklagen können, die soziale und ökologische Standards missachten.

Zum zweiten müssten die ethischen Aspekte in die Geschäftsstrukturen der Unternehmen integriert werden. Im Moment gibt es da sehr ineffektive Parallelstrukturen.

Wie könnte diese Integration ethischer Gesichtspunkte in die Unternehmensstruktur gelingen?

Beispielsweise könnte man bei der Vergabe von Aufträgen Risikozuschläge einführen auf die Angebote der Lieferanten, die soziale und ökologische Kriterien nicht erfüllen. Damit würden die Angebote von vorbildlichen Lieferanten automatisch besser bewertet.

Was sollte vor Ort in den Produktionsländern zur Einhaltung der Sozialstandards getan werden?

Der Schlüssel zum Erfolg vor Ort sind funktionierende Arbeitnehmervertretungen. Wenn es die gäbe, müssten wir uns hier in Europa nicht so damit auseinandersetzen. Letztendlich müssen die Leute das selber für sich regeln, das wäre das Beste und Effizienteste.

Wird die Bildung von Arbeitnehmervertretungen durch die Industrieländer unterstützt?

Leider noch fast gar nicht. Dabei müssten im breiten Rahmen Strukturen aufgebaut werden, Leute müssten methodisch ausgebildet werden. Bei den westlichen Gewerkschaften ist das internationale Denken sehr schwach, stattdessen gibt es eine Tendenz zu Sozialprotektionismus. Dabei ist klar, dass die reichen Länder sich nicht abschotten können. Die reichen und armen Länder sind wie zwei Gläser Wasser, eines voll, das andere fast leer, die durch eine immer größer werdende Öffnung verbunden sind: Irgendwann wird sich der Wasserstand angleichen. Deshalb ist es besser, das Niveau in den Ländern des Südens zu heben, als auf das Absinken bei uns zu warten.
 

Das Interview führten Cornelia Heydenreich und Ralf Willinger

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