Reserveantibiotika in der Milcherzeugung in Deutschland

Reserveantibiotika in der Milcherzeugung in Deutschland
Weniger Hochleistung – eine Gesundheit für Alle

Rund 80 Prozent der Milchkühe in Deutschland erhalten Antibiotika vor der Geburt des jeweils nächsten Kalbes, jede zehnte Behandlung erfolgt laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit sogenannten Reserveantibiotika aus der Wirkstoffgruppe der Cephalosporine der 4. Generation. Die Weltgesundheitsorganisation, WHO, stuft diese Antibiotikawirkstoffgruppe als "besonders wichtig" für den Menschen ein und weist darauf hin, dass diese Arzneien in der Humanmedizin benötigt werden, weil in bestimmten Fällen herkömmliche Antibiotika nicht wirken. Dazu zählen etwa Salmonellenerkrankungen bei Kindern, wenn bereits Antbiotikaresistenzen vorliegen.

Praktiker und Tierärzte berichten in Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Untersuchungen über steigende Einsätze von Reserveantibiotika im Kuhstall. Dies erhöht die Gefahr, dass sich bei Kühen gegen diese "letzten Mittel" resistente Keime entwickeln, die dann auch auf Menschen übertragen werden können. Bereits heute sterben in Deutschland pro Jahr mehr als 15.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken.

Kühe erhalten in Deutschland 1,5 bis 3,3 Mal pro Jahr Antibiotika. In der Antibiotika-Datenbank der Bundesregierung wird der Antibiotikaeinsatz im Kuhstall gleichwohl nicht erfasst. Die Ursachen für den hohen Antibiotikaeinsatz in Kuhställen unterscheiden sich von Hof zu Hof, sind jedoch nicht systematisch untersucht. Festzustellen sind unterdessen ein starker Anstieg der Erkrankungen des Euters, der Klauen und Fortpflanzungsorgane bei Milchkühen im Zuge der Hochleistungszucht. Rechnerisch führt die Zucht dazu, dass Kühe im Schnitt jedes Jahr 100 Kilogramm Milch mehr geben.

Der Bundesrat fordert von der Bundesregierung strengere Regeln beim Einsatz von Reserveantibiotika im Stall. Demgegenüber will die EU-Kommission mit einem Arzneimittelpaket per Verordnung Antibiotika in Futtermitteln und auch den Internethandel mit Antibiotika liberalisieren. Im ersten Halbjahr 2016 wird die Bundesregierung voraussichtlich wegweisende Entscheidungen treffen. Aus Sicht von Germanwatch reichen die vorliegenden Vorschläge der großen Koalition keinesfalls aus, um den Missbrauch von (Notfall-)Antibiotika im Stall zu stoppen. Germanwatch fordert einen Systemwechsel in der Tierhaltung und insbesondere in der Tierzucht, damit der Einsatz von Antibiotika wieder zur Ausnahme statt zur Regel wird. Die Bundesregierung muss umgehend die Vorschläge der EU-Kommission zurückweisen und den Vorschlägen des Bundesrates folgen. Bauernhöfen ist es zu ermöglichen, mehr in Tierbetreuung und Weidehaltung zu investieren.

Autor:innen
Reinhild Benning
Publikationsdatum
Seitenanzahl
28
Publikationstyp
Hintergrundpapier
Bestellnummer
16-1-01
Schutzgebühr
5.00 EUR