Vor Katastrophen versichern

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Vor Katastrophen versichern

Deutschland hat aktuell den Vorsitz der G7. Beim Gipfel in Elmau (7.-8.6.2015) wird u.a. diskutiert, ob die G7-Länder Versicherungslösungen für verwundbare Länder und Bevölkerungsgruppen anbieten sollen. Jeffrey Sachs, renommierter Entwicklungsökonom der Columbia University in New York, zeigt am Beispiel des tragischen Erdbebens in Nepal auf, wie solche Versicherungen funktionieren und welche Rolle sie auch im Kampf gegen den Klimawandel spielen können.

Germanwatch übersetzt den Artikel „Insuring for Disaster“ von Jeffrey Sachs, erschienen in der New York Times am 4. Mai 2015:

Naturkatastrophen, wie das verheerende Erdbeben in Nepal, sind zwar unvorhersehbar, ihr Risiko ist jedoch abschätzbar. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wann ein großes Erdbeben eintreten wird. Aber die tektonische Verwerfungslinien sind bekannt. Wir benötigen ein neues globales System zur Katastrophenversicherung, ähnlich wie HausbesitzerInnen sich vor Katastrophen schützen.

Nothilfeteams und Hilfszahlungen in Millionenhöhe erreichen Nepal, aber trotz bester Absichten werden Notfallmaßnahmen ein verzweifeltes Patchwork ergeben und langfristige Aufbaumaßnahmen durch Geldmangel, nachlassende Spendenbereitschaft und Bürokratie behindert. Dies passierte nach dem Erdbeben 2010 auf Haiti, nach einer Reihe von Taifunen auf den Philippinen und bei der Ebola-Epidemie in Westafrika. Wir brauchen einen besseren Ansatz.

Selbst arme Länder können Vorkehrungen treffen, besonders wenn internationale Organisationen ihnen dabei helfen. Denken Sie an die kommerzielle Flugsicherheit, die – wenn auch nicht fehlerlos – selbst in den ärmsten Regionen der Welt hoch ist. Es gibt ein integriertes System, das Flugzeughersteller, Fluggesellschaften, Fluglotsen, globale Versicherer und nationale und globale Flugsicherung verbindet.

Katastrophen, wie Erdbeben, Taifune, Dürren, Überschwemmungen und Epidemien stellen quantifizierbare Risiken dar. Diese Risiken lassen sich nicht mit der versicherungsmathematischen Genauigkeit angeben, mit der die Hausrats- und Lebensversicherungen arbeiten. Die vorliegende Genauigkeit erlaubt aber eine Versicherungsabdeckung. Seit hunderten von Jahren haben Lloyds und andere Versicherer die Risiken sogar von einmaligen Ereignissen gestreut; natürliche Bedrohungen wie Erdbeben sind keine einmaligen Ereignisse, sondern kehren mit kalkulierbarer Wahrscheinlichkeit wieder.

Angenommen Nepals Regierung hätte Erdbebenversicherungen abschließen können, um die umfangreichen Verluste und die Reaktion des öffentlichen Sektors nach einer Katastrophe abzudecken: Potenzielle Versicherer würden die Wahrscheinlichkeiten von Erdbeben verschiedener Stärke untersuchen, unter Verwendung historischer Aufzeichnungen, seismischer Modellierung und Bewertung der Anfälligkeit der Gebäude.

Der führende Versicherer, gewöhnlich ein Rückversicherungsunternehmen, würde dann die Risikoübernahme bezüglich Nepals Erdbebenrisiko, die den eigenen Sicherheitsrahmen überschreitet, an andere Versicherungsunternehmen oder sogar an den Kapitalmärkten weltweit über so genannte „Katastrophen-Bonds“ und ähnliche Instrumente weitergeben. Diese Risikoträger würden einen Teil von Nepals Prämienzahlungen erhalten und müssten im Fall eines Erdbebens Zahlungen an Nepal leisten. Nepal wäre finanziell abgesichert und die Versicherer würden das Risiko streuen.

Der ursprüngliche Versicherer würde von Nepal fordern, kosteneffektive Maßnahmen zur Vorbereitung auf ein Erdbeben durchzuführen, wie zum Beispiel aktuelle Bauordnungen und Zonenordnungen, einen Notfallplan und Notfallgesundheitssysteme. Diese Schritte würden die erwarteten, durch Naturkatastrophen hervorgerufenen Schäden reduzieren und die Prämienausschüttung sowie die erwartete Auszahlung senken. Im Laufe der Zeit würden die Anforderungen der Versicherung weltweit standardisiert.

Die meisten Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und ebenso einige reiche Länder sind traurigerweise auf die abschätzbaren Risiken durch Katastrophen, denen sie gegenüberstehen, unvorbereitet – seien es seismologische Schocks, klimabedingte Katastrophen oder Epidemien. Nach jeder Katastrophe müssen die betroffenen Länder und die Institutionen der Vereinten Nationen bei anderen Ländern um sofortige Zusicherungen für Fonds und Nothilfeeinsätze anfragen; es gibt kein globales Äquivalent zur Feuerwehr. Oft ist es zu wenig und zu spät.

Wie würde ein Risikoversicherungssystem funktionieren? Weltweit führende Rückversicherer wie Swiss Re, Munich Re und andere würden sich darum bewerben, Länder mit ihren Leistungen zu versorgen. Regierungen würden jährliche Prämien bezahlen, die auf versicherungsmathematischen Risikobewertungen basieren. Internationale Geberorganisationen wie die Weltbank unterstützen bei der Kostenteilung, entsprechend der finanziellen Mittel des versicherten Landes. Für einige große und unvorhersehbare Risiken, die der private Sektor alleine nicht abdeckt, würde zusätzliche Finanzierung aus öffentlicher Hand mit privaten Fonds kombiniert, ähnlich wie es die USA mit Überschwemmungs- und Ernteversicherungen handhaben.

Die Teilung von Kosten mit internationalen Institutionen wie der Weltbank wäre attraktiv für arme Länder, um eine Deckung zu vernünftigen Konditionen zu erhalten. Für Geberländer mit hohem Pro-Kopf-Einkommen wäre der Vorteil, ein globales System zu haben mit verminderter Krisenanfälligkeit und mit geringerer Notwendigkeit, Soforthilfe nach Katastrophen bereit zu stellen.

Die Versicherung würde offenlegen, wie anfällig bestimmte Teile der Welt hinsichtlich steigender Kosten durch Katastrophen sind – einschließlich solcher, die mit der globalen Erderwärmung zusammenhängen. Aber damit könnten wir wenigstens beginnen, Verantwortung für den Klimawandel zu übernehmen. Es würde ein starkes Signal für Investitionen in Klimaschutz und -anpassung geben; Rowan Douglas vom Versicherer „Willis Group“ hat diesen Aspekt in den letzten Jahren betont.

Ein weltweites System der Katastrophenversicherung wäre natürlich nicht perfekt und die Einführung würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber das System könnte viele Leben und Lebensgrundlagen von Menschen in den kommenden Jahren schützen und anfälligen Ländern mit niedrigem Einkommen wie Haiti und Nepal dabei helfen, einen neuen Pfad der nachhaltigen Entwicklung zu beschreiten.


Quelle: http://www.nytimes.com/2015/05/04/opinion/insuring-for-disaster.html?_r=0p