Die Große Kooperation

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The Great Cooperation

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Die Große Kooperation

Mit mehr Dynamik in die Große Transformation
Weitblick-Bild: 4/2012-Die Große Kooperation

Szene aus dem Film „What am I“ von Ben Toussaint, einem der Gewinner des Germanwatch-Drehbuchwettbewerbs zur Großen Transformation. Foto: © Filmagentur Lost Sense Media academy

 
Das arktische Meereis schmilzt in Rekordgeschwindigkeit. Dürren in den USA, Kasachstan und der Ukraine verteuern die Preise für Grundnahrungsmittel. Sich verknappende Energie- und Rohstoffvorkommen verursachen wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken. Die sich zuspitzenden Krisen im Dreieck von Klima-, Energie/Rohstoff- und Ernährungssicherheit zeigen uns fast täglich, dass wir an die Nutzungsgrenzen des Planeten Erde („planetary boundaries“) stoßen. Die Folgen müssen vor allem die ärmsten und verletzlichsten Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern schultern.

Die Ausweichbewegungen der Wirtschaft in Anbetracht der Energiekrise gehen oft in eine nicht-nachhaltige Richtung, wie beispielsweise die verstärkte Nutzung von klimaschädlicher Braunkohle oder Ölsanden anstelle des Ausbaus Erneuerbarer Energien. Die Suche nach Lösungsansätzen, die lediglich die Symptome der Krisen behandeln, nicht aber einen gesamtgesellschaftlichen und nachhaltigen Wandel einleiten, bringt uns der Großen Transformation (siehe Artikel Seite 2) nicht näher. Dabei zwingt uns das Geflecht der multiplen Krisen aus Entwicklungsfragen und Grenzen des Planeten zum Umdenken. Wir stoßen nicht nur an die Grenzen der Ökosphäre: Das Wissen um diese Grenzen verdeutlicht die besondere Größe der sozialen und ökonomischen Herausforderungen.

Doch auch erste Zeichen gelingender Transformation sind erkennbar: ob privates Bürgerengagement der Erneuerbare-Energie-Kommunen in Dänemark, Geschäftsmodelle für städtische Landwirtschaft („urban farming“) in New York, politische Forderungen zur Einspeisevergütung für Erneuerbare Energien in Indien oder kohlenstoffarme Zonen in China (siehe Artikel Seite 4). In Deutschland ernährt sich mittlerweile jeder Zehnte vegetarisch, in deutschen Großstädten geht die Zahl der Autos pro Einwohner vor allem in der wichtigen Gruppe der jungen Erwachsenen zurück. Trends, die in die richtige Richtung weisen. Doch sie brauchen politische Rahmenbedingungen, die sie weiter befördern (siehe Interview Seite 2).

Eine besondere Herausforderung für die Trendwende sind die Nein-Sager, zumeist Profiteure der jetzigen Systeme. Die Gegner des Wandels stellen sich den notwendigen Veränderungsprozessen auch durch politische Einflussnahme entgegen. Anstatt Schutzzäune um die Gewinnerrolle von gestern zu bauen, sollten sie ihr Geschäftsmodell so weiterentwickeln, dass sie die Chancen der Energiewende nutzen. Für die vier großen deutschen Energieversorgungsunternehmen liegt hier die große Herausforderung. Sie hierfür zu gewinnen ist zentral für das Gelingen der Großen Transformation. Auf ähnliche Weise verharrt die Autoindustrie bei überholten Geschäftsmodellen. Sie tut sich schwer damit, auf nachhaltige Mobilitätsdienstleistungen wie Car Sharing oder Kombinationen mit dem Schienenverkehr umzustellen, statt alleine auf Autos zu setzen. Stattdessen blockieren sie die notwendigen Vorschriften für geringeren Spritverbrauch auch nach 2020. Auch im agrar-chemischen Industriesektor dominieren Geschäftsmodelle, gegen die eine Stärkung der ökologischen Landwirtschaft kaum voran- und Kleinbauern unter die Räder kommen.

Die Große Transformation kann nur in Kooperation mit verschiedenen Sektoren und Akteuren gelingen. Um die neuen Initiativen weiter zu stärken und so die Dynamik der Großen Transformation national und international, auch in den internationalen UN-Gremien, zu verankern, benötigt es neuer Kooperations-, Aktions- und Kommunikationsstrategien. Diese müssen angesichts der Umgruppierungen an Macht und Reichtum die Nord-Süd-Kooperationen neu denken. Aber nicht weniger wichtig ist es, in einer Welt, in der „Wachstum“ als Antwort auf die großen Gerechtigkeitsfragen immer deutlicher an Grenzen stößt, neue Antworten auf diese zu suchen. Für Deutschland und die EU sollte es zentral sein, vor allem mit den betroffenen Staaten der gegenwärtigen Krisen, wie den kleinen Inselstaaten und Afrika, sowie mit den geopolitisch besonders bedeutsamen Akteuren, wie den Schwellenländern, Allianzen oder Kooperationen einzugehen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bereitschaft zum Handeln in einigen Schwellenländern sowie der Handlungsunfähigkeit der USA vor allem im Klimaschutz ist es besonders vielversprechend für die EU, Kooperationen mit den Schwellenländern China, Indien, aber auch Südafrika, der MENA-Region (siehe Artikel Seite 4) und Brasilien einzugehen. Themen solcher Kooperationen könnten z. B. die Energiewende, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Niedrigenergiehäuser oder Emissionshandelssysteme sein. Nicht nur die EU ist hier gefragt. Eine wachsende Zahl von Süd-Süd-Kooperationen bewährt sich ebenfalls.

Was bedeutet dies nun für die internationale NGO-Landschaft? Wie kann sie auf die globalen Veränderungen reagieren, ihre Rolle(n) neu definieren und sich kreativ für die Große Transformation einsetzen? Es erscheint unumgänglich, dass NGOs staaten- und kontinentübergreifend ihre Perspektiven für eine Große Transformation abstimmen und diese in verteilten Rollen und mit alten sowie neuen Aktionsformen verfolgen. Germanwatch unterstützt diesen Wandel durch nationale und internationale Dialog- und Strategieprozesse, die wir Ihnen in dieser Zeitung näher bringen möchten.

Rixa Schwarz, Stefan Rostock