Nachhaltigkeitsziele müssen die Struktur des Wirtschaftssystems transformieren

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Nachhaltigkeitsziele müssen die Struktur des Wirtschaftssystems transformieren

Interview mit Achim Steiner, Generalsektretär des UN-Umweltprogramms UNEP
Porträt Achim Steiner

 

Sehr geehrter Herr Steiner, als Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms sehen Sie die Umweltveränderungen weltweit mit eigenen Augen. Wie schätzen Ihre Gesprächspartner aus Entwicklungsländern die Situation 20 Jahre nach dem ersten Rio-Gipfel ein? Wie blicken diese angesichts der Klima- und Ernährungskrisen in die Zukunft?

Wir erleben in der Vorbereitungsphase des Rio-Gipfels Entwicklungs- und Schwellenländer, die selbstbewusster und geschlossener ihren internationalen Gestaltungsanspruch wahrnehmen als je zuvor. Sie haben in den vergangenen Jahren eine neue Perspektive auf die immer häufigeren lokalen Klima- und Ernährungskrisen entwickelt und sehen diese in einem globalen Zusammenhang, der gemeinsame Lösungen erfordert. Sichtbar wird dies unter anderem daran, dass sich alle 54 afrikanischen Staaten für das Konzept einer Green Economy einsetzen.

Man muss sich auch gerade im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent immer wieder vor Augen  halten, dass dort fast drei Viertel der Bevölkerung bis heute keinen Zugang zur Elektrizität haben. Diesen Zugang zu ermöglichen ist eine Grundvoraussetzung für den Weg aus der Armut. Im Rahmen der Green Economy-Debatte in Rio werden hoffentlich die Voraussetzungen geschaffen, solche Probleme als internationale Gemeinschaft und auf der Basis nachhaltiger Energiepolitik anzugehen.
 

Beim Klimagipfel in Durban haben die Staaten der Welt vereinbart, bis 2015 ein neues Klimaabkommen auszuhandeln. Wo sehen Sie die Welt im Jahr 2015, welche Impulse kann Rio+20 auf diesem Weg bringen, gerade auch kurzfristig den Klimaschutz auszuweiten?

Rio+20 wird zeigen, wie groß die internationale Handlungswilligkeit ist. Eine erfolgreiche Konferenz in Rio kann den „Geist des Multilateralismus“ stärken und sich selbst Mut für ein neues Klimaabkommen machen. Auch konkrete Impulse sind von Rio+20 zu erwarten, da viele der unter der Green Economy diskutierten Themen mit dem Klimaschutz in Verbindung stehen. Beispiele hierfür sind die Abschaffung der Subventionen von fossilen Brennstoffen und das Projekt des UN Generalsekretärs „Nachhaltige Energie für alle“. Dieses beinhaltet die Senkung des globalen Energieverbauches um 14 Prozent bis 2030 durch höhere Energieeffizienz sowie die Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien im globalen Energiemix.

Wir sollten von Rio aber nicht erwarten, dass es zur Stellvertretung der Verhandlungen der Klimarahmenkonvention wird. Eine Vermischung dieser beiden Verhandlungsstränge könnte Rio sogar in eine Sackgasse führen, und damit wäre niemandem geholfen.
 

Wie kann sichergestellt werden, dass das Konzept einer "Green Economy" so ausgestaltet wird, dass es die Ärmsten mitnimmt und nicht nur zum "Green Washing" einer nach wie vor auf Wachstum fokussierten Politik missbraucht wird? Welche Chancen sehen Sie hier auch für den notwendigen Paradigmenwechsel?

Das Green Economy-Konzept verabschiedet sich von dem ideologischen Ausgangspunkt, dass nur entweder Umweltschutz oder wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Im Gegenteil: Der Green Economy Report von UNEP aber auch Berichte der Weltbank und der OECD zeigen, dass aktive Umweltpolitik wirtschaftliche Entwicklung sogar fördern kann. Dafür gibt es bereits eine große Palette an konkreten Möglichkeiten. Eine der dringendsten ist die sofortige Abschaffung der 600 bis 800 Milliarden Dollar Subventionen, die weltweit in fossile Brennstoffe fließen. Dies würde nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur bis zu 40 Prozent der notwendigen Reduktion von Treibhausgasen für die Einhaltung des 2°C-Ziels ausmachen. Diese Subventionen nutzen vor allem der Mittel- und Oberschicht und verhindern gleichzeitig die wirtschaftliche und technologische Entwicklung von erneuerbaren Energien. Wie der Green Economy Report ebenfalls zeigt, würde die Abschaffung der Subventionen einen Anstieg der Arbeitsplätze im Energiesektor um ein Fünftel im Vergleich zum „business-as-usual“-Szenario bedeuten. Umwelt- und Ressourcenschutz ist auch für die Ärmsten in Entwicklungsländern überlebenswichtig, denn gerade sie brauchen produktive Ökosysteme.

Hier ist auch die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft gefragt. Der diesjährige Weltumwelttag am 5. Juni in Rio greift dies nur wenige Tage vor der Rio-Konferenz explizit auf mit seinem Motto „Green Economy: Does it include you?“
 

Einer der Diskussionspunkte bei der Rio+20-Konferenz wird die mögliche Stärkung der UN-Institutionen im Umweltbereich sein. Was ist konkret zu erwarten, wie können Beschlüsse die notwendige globale Transformation beschleunigen?

Die institutionelle Architektur der Vereinten Nationen im Umweltbereich ist eines der zentralen Themen in Rio. Diskutiert wird dabei die Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zu einer Weltumweltorganisation, – also einer „specialized agency“ wie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation. Das Ziel, der internationalen Umweltpolitik einen höheren Stellenwert einzuräumen, indem man UNEP stärkt und den Umweltministern ein effektiveres Mandat gibt, wird im Prinzip von fast allen Ländern unterstützt. In welcher Form und wie weit Rio+20 dieses Anliegen in einen konkreten Beschluss umsetzt, ist nun eines der zentralen Themen der vorbereitenden Verhandlungen.
 

Beim Rio+20-Gipfel könnte sich die Weltgemeinschaft auf globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) einigen. Erwarten Sie davon substantielle Impulse?

Die Mitgliedsstaaten haben in Rio die Möglichkeit, sich auf globale Nachhaltigkeitsziele zu einigen oder zumindest einen Prozess und dessen Zielrichtung zu beschließen. Das Green Economy-Konzept liefert dafür zahlreiche Impulse, vor allem aber einen richtungsweisenden Grundsatz: Unser rein auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem muss um das Prinzip der Nachhaltigkeit erweitert werden. Die Nachhaltigkeitsziele müssen direkt auf eine solche Transformation der Struktur des Wirtschaftssystems abzielen. Globale Nachhaltigkeitziele bedeuten auch, dass sich alle Länder verpflichten, ihren Beitrag zu leisten – damit hätte die wirtschaftliche Globalisierung zum ersten Mal auch einen Leitfaden für die Umsetzung globaler Nachhaltigkeitsziele.
 

Wie blicken Sie auf ein Land wie Deutschland, das zwar eine ambitionierte Energiewende beschlossen hat, gleichzeitig aber in vielen Bereichen den Nachhaltigkeitszielen hinterherhinkt?

Schon das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft ist ein Beispiel für die sehr bewusste und reflektierte Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit der Frage, auf welche Bereiche sie den Marktkräften Zugriff gewährt und welche sie vor diesem Zugriff schützen will. Das finde ich auch das Faszinierende an der deutschen Energiewende: dass Deutschland den Mut aufgebracht hat, eine beispielhafte Grundsatzentscheidung zu treffen, deren Kosten und Risiken heute getragen werden müssen, deren Nutzen aber erst der nächsten Generation zugute kommt. Deutschland produziert heute ein Fünftel seines Stroms mit Erneuerbaren, hat hunderttausende neue Arbeitsplätze geschaffen und ist Weltmarktführer in vielen Bereichen der erneuerbaren Energien. Diese zukunftsorientierte Energiewende hat eine Strahlkraft weit über die deutschen Grenzen hinaus entwickelt und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Technologien und innovativer Energiepolitik.
 

Welche Herausforderungen sehen Sie für die internationale Zivilgesellschaft angesichts der multiplen Krisen, welche Empfehlungen haben Sie?

Die unterschiedlichen Krisen offenbaren auf teilweise leidvolle Weise, dass wir in einer Welt leben, deren Komplexität und Konsequenzen für uns oft nicht mehr beherrschbar sind. Teilweise liegen Ursache und Wirkung dabei in völlig unterschiedlichen Bereichen, was wir ja gerade bei Bankenkrise und Klimawandel erleben. Die Verantwortung dafür, dass das Notwendige passiert, ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Der Spagat zwischen 'pragmatischem Krisenmanagement‘ und dem Ziel, trotzdem gesellschaftspolitische Veränderungen herbeizuführen, ist schwieriger geworden und beginnt mit kritischer Öffentlichkeit. Antworten von Gestern im Interesse der Generation von Morgen zu hinterfragen, ist und bleibt eine der zentralen Aufgaben für die Zivilgesellschaft.
 

Interview: Sven Harmeling