„Unser Kampf für Umwelt- und Menschenrechte ist gefährlich“

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„Unser Kampf für Umwelt- und Menschenrechte ist gefährlich“

Giulia Dias (18 Jahre) ist Aktivistin bei Fridays for Future Amazônia. Die Jurastudentin lebt in der Großstadt Belém im Norden Brasiliens und forscht dort am Museum Emílio Goeldi zu den Rechten indigener Gemeinschaften in ihrem Land.
Giulia Dias

„Wer nicht für die Zukunft kämpft, lebt in der Vergangenheit. Klimagerechtigkeit jetzt.“
Giulia Dias macht weltweit auf die Umweltzerstörungen und Menschrechtsverletzungen in Brasilien aufmerksam.

Friederike Teller: Warum engagierst Du dich bei Fridays for Future für den Schutz der Wälder?

Giulia Dias: Ich bin im Landesinneren des Bundesstaats Pará im Amazonasgebiet aufgewachsen, wo intensiv Holzwirtschaft betrieben wird. Schon damals wurde viel illegal abgeholzt und ständig fuhren mit Holz beladene Lastwagen vorbei. Das fand ich schlimm und wollte mich für Umwelt und Klima engagieren. Hier in Brasilien kann man nicht über Umwelt- und Klimaschutz reden, ohne über die Rechte der indigenen Gemeinschaften zu sprechen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass bei Fridays for Future Amazônia viele junge indigene Menschen aktiv sind.

Teller: Warum sind die Rechte indigener Gemeinschaften so wichtig, um Entwaldung zu stoppen?

Dias: Vor der Kolonialisierung war Brasilien nur von Indigenen besiedelt, deshalb ist ihr ursprüngliches Territorium eigentlich sehr groß. Doch die industrielle Landwirtschaft versucht ihnen das Land wegzunehmen. Um Weideund Anbauflächen zu vergrößern, dringt die Agrarindustrie, mit politischer Rückendeckung durch die Regierung des Präsidenten Jair Bolsonaro, immer weiter in ursprünglich indigene Gebiete ein. In den letzten zwei Jahren wurden viele Gesetze verabschiedet, die das Vorgehen des Agrobusiness legalisieren. Aktuell bedroht der Gesetzentwurf PL490 die Landrechte der Indigenen.

Teller: Was hätte dieses Gesetz zur Folge?

Dias: Der Entwurf wird schon seit 2007 diskutiert, doch nun könnte das Gesetz unter dem Druck von Agrarindustrie und Regierung endgültig verabschiedet werden. Es würde dafür sorgen, dass Indigene nur noch ein Anrecht auf Land hätten, das sie nachweislich vor Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 1988 bewohnt haben. Flächen, für die ein solcher Nachweis nicht erbracht werden kann, stünden dann der Agrar- und Minenindustrie zur Verfügung. Das erzeugt viele Konflikte. Indigene und Umweltschützer:innen protestieren vehement dagegen. Doch der Kampf für Umwelt und Menschenrechte in Brasilien ist sehr gefährlich. Aktivist:innen erhalten über soziale Medien vielebeleidigende Kommentare und sogar Morddrohungen. Dahinter stehen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch organisierte Gruppen.

Teller: Wie sieht die Arbeit von Fridays for Future vor Ort aus?

Dias: Zum Schutz des Amazonas vor Abholzung und Bränden startete Fridays for Future Brasilien letztes Jahr die Kampagne SOS Amazônia. Internationale Aktivist:innen vernetzten sich, um auf die Situation in Brasilien aufmerksam zu machen und Geld zu sammeln für Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 in indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet. Wir rufen auch auf, für den Schutz des Pantanal zu spenden – das größte natürliche Feuchtgebiet der Erde. Dort ist zum Beispiel das Eindämmen von Bränden ein wichtiges Ziel. Auch vernetzen wir uns in Gruppen und veranstalten spontane Aktionen.

Teller: Wie hat die Corona-Pandemie Eure Arbeit verändert?

Dias: Es ist schwierig zu protestieren. Hier in Belém haben wir dennoch unter Einhaltung der Hygienevorschriften vor wichtigen Gebäuden, wie dem Stadtrat, demonstriert. Auch online führen wir Mahnwachen durch. Viele unserer Aktionen finden aktuell auf Twitter statt. So wollen wir Aufmerksamkeit erzeugen. Auf unseren Social-Media-Accounts versuchen wir zum Beispiel unter dem Hashtag #nomoredeforestation auf die Probleme aufmerksam zu machen. Wichtig ist, dass die Menschen auf der ganzen Welt wissen, was hier in Brasilien passiert. Brasilien ist ein Land mit hoher Biodiversität, aber in letzter Zeit haben wir uns nicht gut darum gekümmert. Viele Menschen versuchen das zu vertuschen. Doch unsere Situation ist ernst: Indigene Menschen werden getötet, Wälder abgeholzt und es gibt immer mehr Brände. Es ist wichtig, unsere Realität zu kennen, auch um das Verhalten in Europa zu verändern und sich zum Beispiel für nachhaltige Lieferketten einzusetzen.

Das Interview führte Friederike Teller am 21. Juli 2021