Offener Brief zum EU-Wiederaufbaupaket: Deutschland muss nachbessern

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Die Konjunkturbelebung nach der Coronakrise unterstützen die EU-Mitgliedsstaaten durch EU-Gelder, insbesondere das 672,5 Mrd. Euro schwere EU-Programm "Aufbau- und Resilienzfazilität" (Recovery and Resilience Facility | RFF). Dies erfolgt durch Zuschüsse (~ 312 Mrd. Euro) und Darlehen (~ 360 Mrd. Euro).

Um Zuschüsse zu erhalten soll jeder Mitgliedsstaat einen Aufbau- und Resilienzplan bei der Europäischen Kommission bis zum 30. April 2021 einreichen. Bei diesen nationalen Plänen sollen zumindest 37 % der Gelder dem Klima und der Biodiversität zugutekommen (und 20 % für digitale Maßnahmen). Zusätzlich gilt für alles das "Do-No-Harm-Prinzip", nach dem keine für den Klimaschutz schädlichen Maßnahmen finanziert werden dürfen.

Im Dezember 2020 hat die Bundesregierung ihren Entwurf für den Deutschen Aufbau- und Resilienzplan vorgelegt. In einem Offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert Germanwatch – zusammen mit acht Umweltverbänden – den deutschen Wiederaufbauplan so nachzubessern, dass die für Deutschland vorgesehenen knapp 23 Mrd. Euro an Zuschüssen aus dem RFF-Programm tatsächlich den nächsten Generationen dienen.


Offener Brief zum EU-Wiederaufbaupaket: Deutschland muss nachbessern

An
Herrn Olaf Scholz, Bundesminister für Finanzen und Stellvertreter der Bundeskanzlerin, 11016 Berlin
Frau Svenja Schulze, Bundesumweltministerin 11055 Berlin

Berlin, 19.02.2021

Sehr geehrter Herr Bundesminister Scholz, sehr geehrte Frau Bundesministerin Schulze,

die Corona-Pandemie ist eine enorme Herausforderung für unsere Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die jüngste Einigung der EU-Gesetzgeber zum Wiederaufbaupaket „Next Generation EU“ einschließlich der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), aus der Deutschland etwa 23 Milliarden Euro allein als reine Zuschüsse erhalten soll. Das Paket muss seinem Namen gerecht werden und sowohl dem Wohl der jetzigen als auch dem zukünftiger Generationen dienen. Zukunftsinvestitionen im Sinne der Ziele des Europäischen Green Deals im Bereich Klima-, Natur- und Umweltschutz sind deswegen dringend angeraten und bei der Ausarbeitung des deutschen Plans zu berücksichtigen. Dabei sind die auf EU-Ebene für den Aufbaufonds beschlossene Ausgabenquote von 37 Prozent für den Klimaschutz, die besondere Rolle für den Biodiversitätsschutz sowie das „do no significant harm“-Prinzip entscheidend.

Die Bundesregierung hat im Dezember 2020 ihren Entwurf für den Deutschen Aufbau- und Resilienzplan (DARP) vorgestellt und befindet sich nun im Dialog mit der EU-Kommission zur Finalisierung des Plans bis Ende April. Sowohl den Prozess zur Erstellung dieses Planentwurfs als auch dessen Inhalt sehen die unterzeichnenden Verbände im höchsten Maße kritisch:

  • Inhaltlich muss der DARP zwingend an die EU-Vorgaben angepasst werden. Biodiversitätsschutz ist nach europäischen Vorgaben ein qualitatives Kriterium innerhalb der nationalen Pläne. Investitionen etwa in die Renaturierung von Ökosystemen können Jobs und gleichzeitig langfristige Werte in Form von Ökosystemdienstleistungen schaffen. Investitionen in Ökosysteme sind Investitionen in unsere Lebensgrundlage. Sie und die daraus resultierenden Leistungen für den Menschen zahlen sich aus, denn die langfristigen Vorteile übersteigen die anfänglichen Kosten. Entgegen den europäischen Vorgaben berücksichtigt der deutsche Planentwurf Biodiversitätsschutz jedoch leider nicht.
     
  • Der Green Recovery Tracker für Deutschland von Wuppertalinstitut und E3G zeigt, dass der DARP die Klimaquote von 37 Prozent voraussichtlich nicht erfüllt. Hier muss die Bundesregierung dringend nachbessern. Wir bedauern darüber hinaus außerordentlich, dass im Wiederaufbaufonds kein expliziter Ausschluss der Förderung fossiler Energien verankert wurde. Auch die Förderung von Plug-In-Hybridfahrzeugen kann nicht als Klimaschutzausgabe gelten, denn diese Fahrzeuge verursachen im Straßenverkehr ein Vielfaches der von den Herstellern angegebenen CO2-Emissionen. Für die Glaubwürdigkeit des Plans ist es essentiell, dass die deutsche Bundesregierung keinerlei Investitionen in fossile Energieträger, einschließlich fossilem Gas, ermöglicht. Klimaschädliche Maßnahmen dürfen nicht als Klimaschutz klassifiziert werden.
     
  • Der DARP beruht vor allem auf dem bereits im Juni beschlossenen nationalen Konjunkturpaket, das nun mit EU-Mitteln gegenfinanziert werden soll. Das ist nicht im Einklang mit dem Zusätzlichkeitsprinzip der EU-Förderung, dem auch die RRF unterliegt. Aus unserer Sicht sollten den europäischen Geldern zusätzliche Investitionen in die Zukunft finanziert werden, statt Gelder lediglich umzuschichten. Es ist wichtig, hier keine bedenklichen Präzedenzfälle für Europa zu schaffen.
     
  • Die EU-Kommission sieht eine Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Erstellung der nationalen Wiederaufbaupläne vor. Allerdings wurden bei der Erstellung des DARP lediglich im November die Wirtschafts- und Sozialpartner konsultiert, nicht aber die Umweltverbände. Die RRF-Verordnung muss den Zielen des European Green Deal zuarbeiten und sollte diese nicht unterminieren. Wo es um Investitionen geht, steht mit der EU-Taxonomie inzwischen ein relevanter Prüfmaßstab zur Verfügung. Allein aufgrund der starken Umweltvorgaben der RRF-Verordnung ist aus unserer Sicht auch eine umfassende Beteiligung von Umweltverbänden unerlässlich. Neben einer höheren Qualität der Maßnahmen stärkt das Partnerschaftsprinzip die demokratische Legitimation des DARP und die gesellschaftliche Akzeptanz. Außerdem sieht die EU-Verordnung zum Wiederaufbaupaket vor, dass die Mitgliedstaaten Rechenschaft über die Öffentlichkeitsbeteiligung ablegen müssen. Darüber hinaus ergibt sich aus der Aarhus-Konvention eine Verpflichtung zur Beteiligung der Umweltverbände, da der DARP eindeutig ein Plan mit Umweltbezug ist. Daher müssen Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung im Einklang mit Artikel 7 der Konvention gewährleistet sein.

Die unterzeichnenden Umweltverbände sind sehr interessiert an einem vertiefenden Austausch und bereit, konstruktiv zum Partnerschaftsprinzip im Rahmen des Wiederaufbaupakets zu einer bestmöglichen Verwendung dieser Mittel beizutragen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident DNR

Jörg-Andreas Krüger, President NABU

Antje von Broock, Bundesgeschäftsführerin Politik & Kommunikation BUND

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer DUH

Brick Medak, Leiter Berliner Büro E3G

Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer Germanwatch

Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand Greenpeace

Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz WWF

 

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Offener Brief

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Politischer Geschäftsführer
(bis 15.6.24 in Politischer Fokus-Zeit)