Mehr als Staat oder Markt

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Mehr als Staat oder Markt

Finden wir einen intelligenten Mix?

 
Ein gewisser Druck ist offenbar vonnöten: Erst nachdem die Europäische Kommission eine gesetzliche Regelung androhte, einigten sich die Handyhersteller „freiwillig“ auf ein einheitliches Ladegerät – zumindest für Smartphones. Da die Rückgabequoten für Handys trotz Sammelaktionen der Unternehmen mit zwei bis vier Prozent viel zu niedrig sind, schlagen Politiker nun ein Handypfand vor. Viele Rohstoffunternehmen veröffentlichten bislang nicht, wie viel Geld sie an Regierungen für die Förderung von Metallen zahlen – in den USA schreibt dies ein Gesetz nun vor.

Wo muss der Staat regulierend eingreifen, um negative Auswirkungen von unternehmerischem Handeln zu verhindern? Was können Unternehmen freiwillig und selbstorganisiert für Umweltschutz, Menschenrechte und Arbeitsstandards regeln? Wie sieht er aus der „intelligente Mix“ aus freiwilligen und verbindlichen Instrumenten?

Foto: Kai Löffelbein

Eine Konsequenz unseres Wirtschaftens: Elektroschrott auf einer Müllhalde in Ghana. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft reichen in diesem Fall nicht, um die negativen Auswirkungen ihres Handelns zu verringern. Aber auch die staatliche Regulierung ist noch nicht intelligent genug. Foto: Kai Löffelbein

 

So wichtig Vorreiterinitiativen sind, immer wieder zeigt sich, dass die freiwillige Verantwortungsübernahme der Unternehmen an Grenzen stößt bzw. dass es Regelungslücken gibt. Beispiel Elektronikindustrie: Der Abbau von Metallen für Handys und PCs in Afrika geht nicht selten mit Kinderarbeit, Zwangsumsiedlungen und Flussverschmutzungen einher; die Produktion von elektronischen Geräten in Asien mit exzessiven Überstunden, Löhnen unter dem Existenzminimum und gefährlichen Substanzen. In Afrika verbrennen Menschen giftigen Elektroschrott, um Metalle auszuschmelzen. Entweder fehlen Regelwerke völlig oder sie sind nicht wirksam ausgestaltet bzw. nicht ausreichend umgesetzt.

 

In jüngerer Zeit rückt die Rolle des Staates wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011 betonen die Staatenpflichten zum Schutz der Menschenrechte in Bezug auf Unternehmenshandeln. Sie etablieren das Rahmenwerk mit den drei Säulen Protect-Respect-Remedy, also der Verpflichtung des Staates, Menschenrechte zu schützen, der Verantwortung der Unternehmen, Menschenrechte zu achten, und dem Rechtszugang für Betroffene. Sie geben den Regierungen wieder eine stärkere Rolle.

 

Nun muss es darum gehen, die UN-Leitprinzipien umzusetzen. Deshalb rief die EU-Kommission alle Mitgliedstaaten dazu auf, einen Arbeitsplan zur nationalen Umsetzung der UN-Leitprinzipien vorzulegen. Dabei darf es nicht nur um die freiwilligen Aktivitäten der Unternehmen, die 2. Säule der UN-Leitprinzipien, gehen. Zentrales Anliegen sollte die Kohärenz der verschiedenen Politikbereiche sein. Die Außenwirtschaftsförderung muss ebenso Menschenrechtsstandards berücksichtigen wie die öffentliche Beschaffung. Neue Gesetze im Aktienrecht sind auf ihre Auswirkungen für den Menschenrechtsschutz zu überprüfen. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen, z. B. ArbeiterInnen in Apple-Zulieferbetrieben, müssen das Recht bekommen, auch im Heimatstaat des Unternehmens ihr Recht einzuklagen.

 

Die Europäische Kommission griff in ihrer Mitteilung zur Corporate Social Responsibility (CSR) vom Oktober 2011 die UN-Leitprinzipien auf und überarbeitete das eigene Verständnis von CSR deutlich. In Anlehnung an diese UN-Leitprinzipien besagt die Definition der EU-Kommission nunmehr, dass CSR „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ ist. Die EU-Kommission spricht darüber hinaus von einer „intelligenten Kombination aus freiwilligen Maßnahmen und nötigenfalls ergänzenden Vorschriften“, die erforderlich seien, um Transparenz und Rechenschaftspflicht von Unternehmen sicherzustellen und Marktanreize für verantwortliches unternehmerisches Handeln zu unterstützen.

 

Bedauerlicherweise positionierte sich die Bundesregierung im November 2011 gegen das erweiterte Verständnis von CSR und lehnt es als „Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit“ ab. Sie blockiert einzelne konkrete Maßnahmen aus dem Aktionsplan der Kommission, vor allem die Einführung einer verbesserten Offenlegungs- und Transparenzpflicht für Unternehmen.

 

Es gilt nun zu überlegen, wie die Offenlegung sozialer und ökologischer Aspekte der Unternehmensaktivitäten konkret aussehen sollte. Welche Akteure brauchen welche Informationen? Welche Daten und Informationen liegen bereits vor? Was muss staatlich geregelt werden und was kann den Unternehmen freiwillig überlassen werden? Nach welchen Standards und Kriterien sollte berichtet werden, wer überprüft die Informationen und was passiert, wenn Unternehmen nicht oder falsch berichten? Statt konstruktiv über den notwendigen intelligenten Mix mitzudiskutieren, lehnt die Bundesregierung im Einklang mit den Unternehmensverbänden eine Berichtspflicht kategorisch ab.

 

Zwar garantiert eine höhere Transparenz bei unternehmerischen Aktivitäten noch nicht, dass Menschenrechte und Umweltstandards zukünftig überall eingehalten werden. Sie könnte jedoch einen wichtigen Meilenstein darstellen: Unternehmen müssten stärker reflektieren, welche Auswirkungen ihr Tun hat, Nichtregierungsorganisationen stünden mehr Informationen zur Verfügung, Investoren in nachhaltige Wertpapiere könnten soziale, ökologische und ethische Kriterien besser berücksichtigen.

 

Bislang ist die deutsche Bundesregierung auch bei anderen Prozessen als Bremser bekannt. So strebt die EU-Kommission aktuell an, Rohstoffunternehmen zu verpflichten, ihre Zahlungen an Regierungen für Abbaurechte offenzulegen. So lange das nicht geschieht, verschwindet ein Großteil der Gelder in korrupten Kanälen. In den USA gibt es mit dem sogenannten Dodd-Frank-Act bereits eine solche Regelung. Die deutsche Regierung sieht allerdings Wettbewerbsnachteile für Unternehmen aus Deutschland und blockiert die geplante europäische Regelung.

 

Darüber hinaus untergräbt sie auch bestehende Regelwerke zum Menschenrechtsschutz. So ermöglicht der Alien Tort Claims Act (ATCA) in den USA, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen dort klagen können, auch wenn weder die Betroffenen noch die Beklagten in den USA angesiedelt sind. Nun wird vor dem obersten Gerichtshof der USA in einem Verfahren insgesamt über die Reichweite des ATCA gestritten. Bisher war es für die Anwendbarkeit ausreichend, dass Unternehmen z. B. an einer US-Börse notiert sind. Neben anderen in diesem Verfahren eingereichten externen Positionen bezog auch die Bundesregierung im Gerichtsverfahren unaufgefordert Position und argumentierte, dass der ATCA nur auf Sachverhalte mit einem engen Bezug zur USA Anwendung finden sollte. Dies würde eine Einschränkung für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen bedeuten. Deutschland sieht durch dieses Gesetz die eigene Souveränität verletzt, vor allem wenn auch deutsche Unternehmen wie kürzlich Rheinmetall oder Daimler angeklagt werden. Verschiedene deutsche Völkerrechtler widersprachen zusammen mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte dieser Rechtsposition der Bundesregierung in einer eigenen Eingabe vor dem US-Gericht explizit und sprachen sich für Klagemöglichkeiten wie den ATCA aus. Für den Schutz der Betroffenen wäre es eine noch bessere Option, eine ähnliche Klagemöglichkeit hierzulande zu schaffen.

 

Fortschritte bei notwendigen Rahmensetzungen gibt es immerhin beim Thema Elektroschrott: Die Revision der EU-Richtlinie zu Elektroschrott (WEEE) enthält mit einer Beweislastumkehr und Öko-Design-Vorschriften einige Verbesserungen. Aber auch hier wurden wichtige Chancen verpasst – manches lässt sich möglicherweise über eine intelligente Rahmensetzung auf nationaler Ebene auffangen (siehe Artikel "Schrott sei Dank!?").

 

Cornelia Heydenreich 

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