"Auslagern von Schweinereien wird schwieriger"

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"Auslagern von Schweinereien wird schwieriger"

Interview mit Dr. E. Ulrich von Weizsäcker, Nachhaltigkeitssprecher der SPD-Bundestagsfraktion

 

Herr von Weizsäcker, wie nehmen Unternehmen derzeit weltweit ihre soziale Verantwortung wahr?

Nach dem Sturz des Kommunismus herrschte zunächst weltweit Euphorie bei den Unternehmen. Sie waren die Symbolträger des siegreichen Systems, und sie konnten gegenüber den Staaten ihre Wünsche durchsetzen. Die Staaten mussten auf einmal um Investoren und Steuerzahler buhlen. Doch nach zehn Jahren der Euphorie nahm die Kritik an den Unternehmen zu, die sich ein wenig wie die Herren der Welt aufführten. Heute beobachte ich in weiten Teilen der Welt eine Art von Götterdämmerung in Bezug auf den Shareholder-Value-Kapitalismus - die Menschen misstrauen ihm zunehmend. Das färbt auf die Glaubwürdigkeit der Unternehmen ab. Sie müssen ihre Glaubwürdigkeit aktiv neu erzeugen. Das Volk weiß auch, dass die Schweinereien meist auf die Zulieferer ausgelagert werden. Entsprechend wächst die Neugier auf das, was bei den Zulieferern wirklich passiert - damit wird das "Auskontraktieren von Schweinereien" immer schwieriger. Die Verantwortung der Unternehmen muss sich zunehmend auch auf die Zulieferer erstrecken.

Was könnte von Regierungsseite getan werden, um die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen zu fördern?

Darüber haben die Regierungen der Welt noch fast nicht nachgedacht. In Zukunft wäre eine marktkonforme Eingriffsmöglichkeit eine steuerliche Begünstigung von ethischen und ökologischen Investitionsfonds, die von glaubwürdiger Seite zertifiziert sind. Das gibt es bisher nur in den Niederlanden - ein sehr erfolgreiches Modell mit hohen Wachstumsraten. So kann der Staat ein Gegengewicht zum kurzfristigen Shareholder-Value-Denken setzen. Unternehmen, die ernsthaft gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, werden so gestärkt, während die, die nur darüber reden und sich jeder Kontrolle entziehen, entlarvt werden.

Was halten Sie von internationalen Instrumenten zur Kontrolle von Unternehmen, wie den OECD-Leitsätzen, dem Global Compact der UN und den Vorschlägen der UN-Menschenrechtskommission?

Das sind alles wichtige und ehrenhafte Versuche voranzukommen, aber sie haben eine geringe Verbindlichkeit. Es ist wichtig, internationale Standards zu definieren, auch wenn sie von einzelnen Staaten nur schwer durchgesetzt werden können. Ein einzelner Staat kann Menschenrechtsregeln definieren oder Umweltregeln, aber höchstens im eigenen Land durchsetzen. Wir können hier in Deutschland keine Menschenrechtsregeln für Vietnam definieren. Wir können nur sagen, Unternehmen, die sich in der Zulieferkette in Vietnam schweinisch  verhalten, haben auch bei uns keine Glaubwürdigkeit.

In Ihrem neuen Buch "Limits to Privatization - How to Avoid Too Much of a Good Thing" (Earthscan, London, Januar 2005) gehen Sie und andere Autoren auf das Für und Wider von Privatisierungen ein. Welche Rolle sollten hier Staat und Zivilgesellschaft einnehmen?

Eine Krankheit unserer Zeit ist die weit verbreitete Schwäche des Staates. Damit fehlt oft ein starker, vom Privatkapital nicht erpressbarer Anwalt der öffentlichen Anliegen. Die Zivilgesellschaft sollte diese Lücke erkennen. Sie hat auch internationale Muskeln und kann wesentlich helfen, internationale Anstandsregeln durchzusetzen. Natürlich muss sie solche Anstandsregeln auch bei sich selbst strikt anwenden!
 

Das Interview führten Cornelia Heydenreich und Ralf Willinger 
 

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