Blogpost | 01 December 2019

"Ein deutsches Lieferkettengesetz könnte auf EU-Ebene neue Dynamik erzeugen"

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Welche Umweltprobleme und Menschenrechtsverstöße verbergen sich hinter Produkten? Gegen Gewinne ohne Gewissen regt sich Widerstand. Mit der Initiative Lieferkettengesetz fordern Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung auf, Sorgfaltspflichten für Unternehmen gesetzlich festzuschreiben, schreibt Cornelia Heydenreich von Germanwatch.

Wie kam es zur Initiative Lieferkettengesetz?
Das Problem ist schon lange bekannt: Seien es Dammbrüche von Erzminen in Brasilien, brennende Textilfabriken in Pakistan oder zerstörte Regenwälder durch den Ölpalmenanbau in Guatemala. Auch deutsche Unternehmen sind über ihre Investitionen oder Lieferketten für diese Umweltprobleme und Menschenrechtsverstöße mitverantwortlich. Betroffene können aber bislang in Deutschland keinen Schadenersatz gegen mitverantwortliche Unternehmen
einklagen. Das muss sich ändern. Deshalb brauchen wir ein Lieferkettengesetz, denn freiwillige Ansätze reichen alleine nicht aus. Zudem geraten die Vorreiterunternehmen in Wettbewerbsnachteile und fordern inzwischen ihrerseits ein Gesetz. Eigentlich bräuchten wir eine weltweite Regelung zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten, aber ein internationaler Prozess ist sehr zäh, wie die Verhandlungen über einen UN-Treaty zeigen. Dann müssen einzelne Länder wie Frankreich vorangehen. Dort hat ein starkes zivilgesellschaftliches Bündnis die gesetzliche Regelung vorangetrieben. Das hat uns motiviert, auch in Deutschland aktiv zu werden – zumal der Koalitionsvertrag besagt, dass die Bundesregierung ein Gesetz schaffen will, wenn die Unternehmen freiwillig nicht genug tun.

Initiative Lieferkettengesetz

Warum wartet die Initiative nicht die Ergebnisse des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) der Bundesregierung ab, dessen Monitoring noch bis 2020 läuft?
Mit zahlreichen Organisationen hatten wir bereits bei der Erarbeitung des NAP eine gesetzliche Regelung gefordert. Die Bundesregierung entschloss sich jedoch für ein freiwilliges Vorgehen, kombiniert mit dem Monitoring. Erst Anfang November 2019 hat eine Studie des Business & Human Rights Resource Centre (BHRRC) gezeigt, dass keines der untersuchten 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen durchgängig ein Grundniveau bei der Achtung der Menschenrechte erreicht hat. Problematisch ist am Monitoring unter anderem, dass die Methodik aufgrund des Drucks aus dem Wirtschaftsministerium stark verwässert wurde und daher zu befürchten ist, dass die Messlatte für die Unternehmen immer niedriger gehangen wird. Zudem sind wir bereits einige Monate im Verzug, vor allem weil die Bundesregierung sich nur mühsam auf die Methodik einigen konnte. Die nächsten Debatten sind schon vorprogrammiert. Auch wenn es die Bundesregierung schaffen sollte, wie geplant bis Juni 2020 das Monitoring abzuschließen, bliebe nur noch ein Zeitfenster von einem halben Jahr bis zum nächsten Bundestagswahlkampf. Das wäre sehr ambitioniert, um ein solches Gesetzesvorhaben erfolgreich abzuschließen.

Welche Inhalte muss die Bundesregierung in einem solchen Gesetz mindestens verankern?
Eine gesetzliche Regelung sollte sich an den international vereinbarten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientieren und Unternehmen verpflichten, bei ihren weltweiten Geschäften menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfalt walten lassen. Konkret sind das zum Beispiel eine Risikoanalyse, Präventionsmaßnahmen und Beschwerdemechanismen. Wichtig ist dabei, dass es auch angemessene Sanktionen gibt für den Fall, dass
ein Unternehmen seiner Verantwortung nicht angemessen nachkommt. Eine Haftungsregelung ist daher das Kernstück eines wirksamen Lieferkettengesetzes, um die Rechte von Betroffenen zu stärken. Zudem brauchen wir eine sogenannte Beweislastumkehr. Danach muss das beklagte Unternehmen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten beweisen, da Betroffene in der Regel keinen Einblick in die internen Abläufe eines Unternehmens haben.

Initiative Lieferkettengesetz Pressekonferenz
Start der Lieferkettengesetz durch eine Pressekonferenz am 10. September 2019

Wie gehen andere europäische Länder mit dem Problem der Lieferkettenverantwortung um?
Einige Länder haben bereits Gesetze erlassen, die Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte in ihrer globalen Geschäftstätigkeit verpflichten. So haben die Niederlande im Mai 2019 ein Gesetz gegen Kinderarbeit verabschiedet. In Frankreich gibt es seit 2017 ein Gesetz zu Sorgfaltspflichten französischer Unternehmen. Und in Großbritannien verpflichtet bereits seit 2015 ein Gesetz Unternehmen darüber zu berichten, was sie gegen Zwangsarbeit und moderne Sklaverei tun. Auch die Schweiz, Finnland, Dänemark und Österreich diskutieren entsprechende Gesetze. Natürlich wäre eine europäische Regelung wünschenswert, aber das war in den letzten Jahren politisch nicht durchsetzbar. Wenn es aber auch in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland ein Lieferkettengesetz gäbe, würde dies auf EU-Ebene neue Dynamik erzeugen und wäre zudem ein klares Signal im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020.

Können Verbände die Initiative unterstützen?
Die Initiative Lieferkettengesetz wird bereits von über 70 Organisationen aktiv unterstützt, auch von Umweltorganisationen wie dem BUND und Greenpeace. Weitere Unterstützer sind herzlich willkommen! Unterstützer bekennen sich zunächst zu den Zielen der Initiative. Konkret erwarten wir, dass sie die Petition an die Bundeskanzlerin für ein Lieferkettengesetz verbreiten, einen Unterstützungszuschuss leisten und je nach Kapazitäten öffentlichkeitswirksame Aktionen unterstützen, mit Social Media auf das Thema aufmerksam machen oder das Anliegen in der eigenen Lobbyarbeit aufgreifen.

Initiative Lieferkettengesetz Auftaktaktion
Unterstützer der Initiative Lieferkettengesetz bei einer Auftaktaktion vor dem Reichstagsgebäude

Und was kann ich als VerbraucherIn tun?
Grundsätzlich sollten wir die Verantwortung für diese Fragen nicht an die VerbraucherInnen delegieren. Aber natürlich gibt es Unternehmen, die bereits jetzt ökologisch und sozial verantwortlich handeln und es verdienen, wenn ihre Produkte verstärkt nachgefragt werden. Wichtig ist es auch, sich beim Einkaufen nach den ökologischen und sozialen Produktionsbedingun-gen zu erkundigen, damit die Unternehmen merken, wie wichtig ihren KundInnen dieses Thema ist. Und natürlich brauchen wir noch viele Unterschriften für unsere Petition für ein Lieferkettengesetz.

[Interview: Katrin Meyer]

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe (Dezember 2019) von "umwelt aktuell"