Unschöne Schatten der schönen neuen IT-Welt

Weitblick Artikel

Unschöne Schatten der schönen neuen IT-Welt

Produktionsbedingungen hinter glänzender Fassade

 

Der globale Markt von IT-Geräten wie Handys, Laptops und MP3-Playern wächst rasant. In jeder Sekunde werden 36 neue Handys verkauft, eine Milliarde gingen allein in den vergangenen beiden Jahren über die Ladentheke. Doch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die diese Produkte herstellen, haben wenig davon. Sie leiden unter dem harten Wettbewerb der führenden Unternehmen des Marktes. Einige Böen dieses rauhen Windes erreichten Anfang des Jahres auch die Bochumer Nokia-Beschäftigten. Andere Beschäftigte arbeiten unter oft unzumutbaren Bedingungen in Osteuropa, aber vor allem in asiatischen Ländern wie China, Indien, den Philippinen oder Thailand.

Ihre Lebenswirklichkeit steht in starkem Kontrast zu dem sorgfältig gepflegten Bild der Informations- und Kommunikationsindustrie (IT) für die Öffentlichkeit: dem eines sauberen Industriebereichs, in dem hochqualifizierte Leute arbeiten, die ein gutes Gehalt bekommen und faszinierende Programmierarbeiten verrichten. Ab dem 29. August präsentiert sich die Branche wieder in leuchtenden Farben auf der weltgrößten Messe für Unterhaltungselektronik, der IFA (Internationale Funkausstellung) in Berlin. Die Beschäftigen aus den vielen Zulieferbetrieben der komplexen Wertschöpfungskette in der Elektronikindustrie sehen oft nur die andere Seite der Medaille.

Geringe Löhne in der IT-Branche

In China siedelten Millionen WanderarbeiterInnen vom verarmten Land in die Metropolen um, angetrieben von der Hoffnung, einen Arbeitsplatz in der boomenden Exportindustrie des Landes zu finden. In den Fabriken schuften die ArbeiterInnen oftmals zwischen zehn und zwölf Stunden am Tag, an sechs bis sieben Tagen in der Woche, um Bauteile für Elektronikkonzerne wie Nokia oder Samsung herzustellen. Bisher erhalten die meisten dieser geringqualifizierten Arbeiter - hauptsächlich junge Frauen im Alter von 16 bis 30 Jahren - weniger als 35 Cent pro Stunde. Um sich selber ein neues Handy zu kaufen, würde ein voller monatlicher Mindestlohn draufgehen.

Der Mindestlohn für die normale Wochenarbeitszeit ist kaum genug, um davon leben zu können. Und das, obwohl sich die meisten WanderarbeiterInnen überfüllte Schlafsäle, oft zu acht in einem kleinen Raum, teilen. Problematisch sind für sie die steigenden Lebensmittelpreise: Die sind alleine in den zwölf Monaten bis zum Mai 2008 um 22 Prozent angestiegen. Wenn die ArbeiterInnen krank werden, müssen sie zudem für Arzt und Medizin bezahlen. Nur in ihrer Heimatregion gibt es eine kostenlose Gesundheitsfürsorge für sie. Fast alle WanderarbeiterInnen wollen sparen, um ihre Familie zu Hause zu unterstützen. Im Rahmen des makeITfair-Projekts wurden Frauen interviewt, die aus diesem Grund mehr als 150 Überstunden im Monat leisten und deshalb sieben Tage in der Woche arbeiten.

Wenn den Beschäftigten ein Fehler unterläuft, können sie mit Gehaltsabzügen bestraft oder sogar entlassen werden. Das gilt auch, falls sie gegen ihre oft unfairen Arbeitsbedingungen protestieren. Für chinesische Arbeiter und Arbeiterinnen ist es schwierig, Veränderungen zu bewirken, denn unabhängige Gewerkschaften gibt es in China nicht. Die Einheitsgewerkschaft All-China Federation of Trade Unions (ACFTU), in der auch die Betriebsleitung Mitglied ist, setzt sich zu selten wirklich für die Arbeitsrechte ein.

Umsetzung der Gesetze mangelhaft

Das durchaus existierende chinesische Arbeitsgesetz wird oft nicht eingehalten. Dies liegt nicht nur an der mangelnden Kontrolle, sondern meist auch an den Verträgen der Elektronikunternehmen mit den Zulieferern sowie dem harten Preiskampf in der Branche. In den letzten Jahren kam es deshalb in China immer häufiger zu Spontanstreiks gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen.

Allein in diesem Jahr hat die chinesische Regierung das Arbeitsrecht zweimal verschärft und den Beschäftigten ein stärkeres Vertragsrecht sowie verbesserte Klagerechte eingeräumt. Die Unternehmen - auch die europäischen - reagierten auf die angekündigten neuen Gesetze mit der Drohung von Unternehmensschließungen und -verlagerungen. Diese würden die Personalkosten erhöhen, und in Vietnam etwa seien die Löhne noch niedriger. Wie in China, wo bisher die Hälfte der Handys und Laptops hergestellt wird, sind auch in anderen Konkurrenz-Ländern weniger die Gesetze als deren Umsetzung das Problem. Häufig spielen die Unternehmen diese Staaten gegeneinander aus und bewirken so ein »race to the bottom« bei der Durchsetzung von Arbeits- und Umweltrechten.

Im Juni 2008 stimmte John Ruggie, der Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, in seinem Abschlussbericht in die Kritik der Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften ein. Er konstatierte eine Regelungslücke für global tätige Unternehmen bezüglich ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte. In seinem verlängerten Mandat will Ruggie sowohl die Staaten als auch die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen.

Verbraucher können Druck machen

Aufgrund der oben beschriebenen Missstände und Entwicklungen ist es Verbrauchern bislang nicht möglich, ein fair hergestelltes Handy zu kaufen. Sie können sich jedoch gegenüber den Herstellern und Anbietern von Handys für bessere Arbeits- und Umweltstandards einsetzen, z.B. beim Kauf eines neuen Handys oder beim Abschluss eines neuen Vertrags. Germanwatch ermöglicht es Engagierten, aktiv zu werden und Protest-Schreiben an die Unternehmen zu richten. So haben die E-Mail-Proteste im Rahmen der makeITfair-Kampagne sowie Studien und Pressearbeit bewirkt, dass sich viele Elektronikunternehmen inzwischen auch das Thema Rohstoffverantwortung auf die Fahnen geschrieben haben. Noch ist es ein weiter Weg zu Veränderungen, aber zumindest streiten die Unternehmen ihre Verantwortung nicht mehr ab. Im Rahmen der Kampagne werden wir durch Runde Tische und Dialoge mit Unternehmen weiter Druck machen. Auch Sie können sich an unserer Aktion für faire Löhne in der IT-Branche beteiligen. Dort brauchen wir auch Ihre Unterstützung!

Auch vor Ort setzen sich Organisationen gegen die oben beschriebenen Praktiken zur Wehr. In einem undemokratischen Land wie China ist diese Arbeit nicht gerade einfach. Aber auch in Indien haben NRO-Vertreter mit juristischen Klagen, Haftbefehlen und Gewaltandrohungen zu "kämpfen". Auch aus diesem Grund kooperiert die Kampagne makeITfair intensiv mit Organisationen aus den Ländern des Südens, u.a. mit SACOM aus China und Cividep aus Indien.
 

Cornelia Heydenreich und Christoph Bals

Cornelia Heydenreich ist Referentin für Unternehmensverantwortung, Christoph Bals ist Politischer Geschäftsführer von Germanwatch
 

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