„Besser und Weniger“

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„Besser und Weniger“

Agrarwissenschaft fordert eine grundlegende Transformation der Tierhaltung
Weitblick-Bild 2/15: Tierhaltung Schweine

Die Exportorientierung führt zwangsläufig zur Kostenoptimierung in der Nutztierhaltung. (Foto: Dmitry Kalinovsky/123RF.com)

  
Die Nutztierhaltung ist in vielen Bereichen nicht nachhaltig. Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik (WBA) des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) in seinem jüngsten, im März 2015 veröffentlichten Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“. Der Beirat ist offiziell vom BMEL beauftragt, aber unabhängig von politischen Vorgaben und wählt seine Mitglieder und die Themen seiner Gutachten selbst aus. Die Bundesregierung ist andererseits nicht an die Empfehlungen gebunden. Gleichwohl kann das von 14 ProfessorInnen fast aller wichtigen agrarwissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland sowie dem bundeseigenen Thünen-Institut für Agrarforschung verfasste Gutachten beträchtliche Wirkung in der agrarpolitischen Diskussion entfalten.

Grundlegende Probleme in der Tierhaltung

Das aktuelle Gutachten hat bereits zu zahlreichen Reaktionen vor allem der Landwirtschaftsverbände und zivilgesellschaftlicher Gruppen geführt. Es stellt die Probleme der Erzeugung von Fleisch und Milch in Deutschland umfassend und fundiert dar. Besonders große Probleme identifiziert der Beirat:

  • Beim Tierschutz, da viele Tiere aufgrund von Haltungsbedingungen, Züchtung und intensiver Fütterung erkranken beziehungsweise – bei Milchkühen – eine sehr geringe Lebenserwartung haben. Darauf wird häufig mit einem „Anpassen“ der Tiere (Kürzen von Hühnerschnäbeln und Schweineschwänzen) oder hohem Medikamenteneinsatz (Antibiotika) reagiert.
  • Bezüglich der Gesundheit, denn der massive Antibiotikaeinsatz trägt dazu bei, antibiotikaresistente Krankheitserreger zu verbreiten. Gesundheitlich bedenklich ist auch der hohe Konsum tierischer Produkte, vor allem verarbeiteter Fleischwaren. Er liegt in Deutschland in etwa beim Doppelten der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Menge.
  • Beim Umweltschutz, da die zunehmende Konzentration der Tierhaltung in wenigen Regionen (vor allem Nordwestdeutschland) dort zu einem hohen Aufkommen von Exkrementen und damit der Belastung von Gewässern und Luft durch die darin enthaltenen Nährstoffe Stickstoff und Phosphor führen. Auch entstehen durch die Tierhaltung in bedeutendem Umfang Treibhausgase wie Methan und Lachgas.
  • Bei der sozialen Situation der Beschäftigten, bei denen es sich häufig um MigrantInnen handelt, die zu niedrigen Löhnen oder als WerkvertragsnehmerInnen unangenehme und zum Teil gefährliche Tätigkeiten (die Arbeitsunfälle zur Folge haben) verrichten.

Kostendruck und Exportorientierung

Das Gutachten zeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen diesen Problemen und der auf Kostenführerschaft und Mengensteigerung ausgerichteten Exportstrategie der Agrar- und Lebensmittelindustrie besteht. Der WBA macht konkrete Vorschläge, wie Haltungssysteme tier- und umweltgerechter gestaltet werden können und nimmt eine Kostenschätzung dafür vor. Die Produktionskosten für Schweinefleisch würden danach um etwa ein Drittel steigen, die für Milch nur um zwei bis fünf Prozent. Hühnerfleisch und Eier mit Zusatzkosten von etwa 15 Prozent und Rindfleisch mit etwa 20 Prozent liegen dazwischen. Da die Produzentenpreise nur etwa ein Viertel des Endverkaufspreises für tierische Produkte ausmachen, würden die Verbraucherpreise für Fleischprodukte um drei bis sechs Prozent steigen. Auf dem deutschen und europäischen Markt wären diese Steigerungen nach Einschätzung des WBA durchsetzbar, vor allem wenn Deutschland koordiniert mit anderen wichtigen Produzentenländern wie Frankreich, den Niederlanden und Dänemark vorgeht. Transformation zu „besser und weniger“ Unvermeidbar ist bei einer tier- und umweltfreundlichen Tierproduktion, dass die Exporte von Fleisch und Milch zurückgehen. Auf internationalen Märkten lassen sich höhere Verkaufspreise mit dem Verweis auf nachhaltigere Erzeugungsbedingungen nicht durchsetzen. Der WBA empfiehlt daher „eine Transformation von der Strategie der Mengenausweitung und Kostenführerschaft zu einer Differenzierungsstrategie mit höherer Wertschöpfung pro Produkteinheit“. Dies bringt das Leitbild „besser und weniger“ auf den Punkt, in dem eine geringere Erzeugung und ein verringerter Konsum eine tiergerechte Erzeugung ermöglichen, die sich innerhalb der ökologischen Grenzen bewegt.

Die notwendige Transformation kann nicht abrupt erfolgen, da dies Aufgrund erfolgter Investitionen zu großen Strukturbrüchen führen würde. Daher ist eine klare und langfristige politische Rahmensetzung notwendig, um die richtigen Signale für die Transformation zu geben. Als Grundlage dafür empfiehlt der WBA einen breiten gesellschaftlichen Dialog darüber, wie sich die Tierhaltung zukunftsfähig gestalten lassen kann. Germanwatch wird einen neuen Schwerpunkt darauf legen, diese aus Umwelt- und Entwicklungsperspektive notwendige Transformation voranzubringen.
 

Tobias Reichert

Das Gutachten finden Sie unter:
www.kurzlink.de/WBA-Gutachten-2015

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