Ein gigantisches Experiment der Menschheit

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Ein gigantisches Experiment der Menschheit

Thomas Loster, Münchener Rück, geht im Milleniums-Sonderheft des weltweit größten Rückversicherers "topics 2000, Naturkatastrophen" der Frage nach, was im 21. Jahrhundert als Folge des globalen Klimawandels zu erwarten ist:

Auf absehbare Zeit wird es nicht möglich sein, die qualitativen und quantitativen Änderungen und Auswirkungen exakt zu prognostizieren. Am verlässlichsten erscheinen die Aussagen des von den Vereinten Nationen eingesetzten "Intergovernmental Panel on Climate Change", kurz IPCC. (...) Das Irrtumsrisiko wird auf absehbare Zeit groß bleiben; trotzdem müssen wir unsere Handlungen an dem besten verfügbaren Wissen ausrichten. (...)

Möglicherweise wird der Meeresspiegel etwas langsamer ansteigen als früher befürchtet. Bis zum Jahr 2100 wird mit rund 50 cm gerechnet. Sollte sich der ‚worst case‘, ein Anstieg um knapp einen Meter, bestätigen, werden zahlreiche Inseln (z.B. Kiribati, die Marshallinseln, die Malediven), bevölkerungsreiche Küstengebiete (z.B. Bangladesh) und Wirtschaftsräume in Flussdeltas (z.B. Nil, Niger) vor ernste Existenzprobleme gestellt.

Das dramatische Abschmelzen der Inlandgletscher in den meisten Gebirgsregionen der Erde setzt sich fort. Bleibt es bei den derzeitigen Abschmelzraten, dann werden beispielsweise bis Ende des 21. Jahrhunderts nur noch klägliche Reste von den einst mächtigen Alpengletschern übrig sein, mit der Konsequenz, dass Europa seinen größten Trinkwasserspeicher verliert.

Als ebenso bedeutend ist die Zunahme der Luftfeuchte als Folge der verstärkten Verdunstung anzusehen, da sie entscheidenden Einfluss auf alle Niederschlags- und vertikalen Umlagerungsprozesse ausübt. Es ist deshalb nicht nur mit mehr Starkregen, Sturzfluten und Muren, sondern auch mit mehr Gewittern, Hagel- und Blitzschlägen zu rechnen. Die tropischen Wirbelstürme – Hurrikane, Taifune und Zyklone – können voraussichtlich nicht nur an Stärke zunehmen, sondern auch die Saisons und Regionen ihres Auftretens deutlich ausdehnen. Ebenso können die außertropischen Sturmtiefs, die sog. Winterstürme stärker werden und (...) tiefer in die Kontinente vordringen.

Auch wenn der steigende CO2-Gehalt der Atmosphäre die Wachstumsbedingungen vieler Pflanzen verbessert und gleichzeitig ihren Wasserbedarf senkt, so überwiegen doch langfristig die negativen landwirtschaftlichen Auswirkungen, hauptsächlich wegen des erhöhten Hitze- und Trockenheitsstresses. Gewinner werden die Länder sein, die ihre Landwirtschaft rasch den veränderten Bedingungen anpassen können, und dies sind natürlich wieder die hoch entwickelten Länder, während die weniger entwickelten dadurch noch weiter ins Hintertreffen geraten werden. (...)

Auch die Ozeane müssen noch genauer erforscht werden, insbesondere ihre Strömungsmuster. Wenn das komplexe Zirkulationssystem gestört wird, muss mit gravierenden Auswirkungen gerechnet werden. (...) So paradox es klingen mag: Die globale Erwärmung könnte Europa eine neue Eiszeit bringen.

(...) Die globale Erwärmung könnte häufigere El-Nino-Ereignisse auslösen oder diese verstärken und verlängern. Da sich diese sog. ENSO-Phänomene nachhaltig auf das Wettergeschehen und auf Naturkatastrophen in vielen Regionen der Welt auswirken, muss hier mit einer zusätzlichen Verschlechterung der Risikosituation gerechnet werden.

In letzter Zeit wurde mehrfach versucht, die weltweiten Kosten der anthropogenen Klimaänderungen abzuschätzen. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind eindeutig: Vermeidungsstrategien verursachen auf lange Sicht deutlich weniger Kosten als die durch die Klimaänderungen zu erwartenden Schäden, die durchaus die Größenordnung von 100 Mrd. US$ pro Jahr erreichen könnten. (...)

Fazit

Die Menschheit veranstaltet mit dem Klima der Erde derzeit ein gigantisches Experiment, über das sie bis heute praktisch keine Kontrolle hat und dessen Ausgang sie nicht kennt. Es könnte jedoch dramatische Auswirkungen auf die künftigen Lebensbedingungen der Menschheit haben. So sehr man sich heute noch über die weitere Entwicklung der Klimaänderungen und insbesondere auch ihrer Auswirkungen streiten kann, die Anzeichen für eine künftige Verschärfung der Risikosituation sind eindeutig. Es muss mit allen Mitteln versucht werden, die Klimaänderungen einzudämmen und die Auswirkungen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten.