Exportorientierte Agrarpolitik ruiniert Milchhöfe

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Exportorientierte Agrarpolitik ruiniert Milchhöfe

Der Milchpreis in Deutschland und auch in anderen EU-Ländern rutscht immer weiter ab. Erste norddeutsche Molkereien zahlen unter 20 Cent pro Kilo Milch. Die Produktionskosten liegen bei mehr als 45 Cent für ein Kilo. Die Folgen sind brutal. Im letzten Jahr mussten 3.200 Milchhöfe in Deutschland aufgeben. In Litauen werden sogar nur noch 8 bis 15 Cent je Kilo Milch ausgezahlt bei im Schnitt 33 Cent Produktionskosten. Grund für diese Misere ist das ersatzlose Auslaufen der Milchmengenbegrenzung im letzten Jahr und die Förderung des Baus größerer Ställe für Milchbetriebe. Die Milchwirtschaft hat auf betrieblicher Ebene reagiert, die Ställe vergrößert und die Milcherzeugung angekurbelt. Das damit einhergehende Überangebot an Milch auf dem europäischen Markt drückt den Erzeugerpreis nach unten.

Diese Politik nutzt der exportorientierten Molkereiwirtschaft. Sie wollen Märkte außerhalb der EU erobern, wo die Preise tendenziell niedriger sind. Auch erhofft sich die europäische Molkereiwirtschaft mehr Exporte durch TTIP, das umstrittene Handelsabkommen zwischen EU und USA. Die Exporte insbesondere von Massenware aus der EU sind enorm gestiegen. Und noch etwas nutzt den Molkereien: Sie kalkulieren ihre Kosten rückwärts, das heißt, wenn Lebensmitteldiscounter bei Vertragsabschlüssen die Milchpreise aufgrund der Übermengen drücken können, geben die Molkereien die Preissenkung bequem an ihre Lieferanten weiter.

Die Situation auf den Höfen beschreibt Annelie Wehling, Milchbäuerin und Mitglied im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM): „Die meisten Milcherzeuger sind total überrascht, und sagen, dass hätten sie nicht gedacht, dass der Wegfall der Quote solche extremen Auswirkungen haben wird. Ich bin empört, wie man eine gewachsene, gesunde Struktur mit solch einer Vorgehensweise regelrecht vernichtet zugunsten einiger Weniger.“

Molkereien blockieren Maßnahmen

Die Molkereien, allen voran die größte Deutschlands, das Deutsche Milchkontor (DMK), weigern sich, die Ursache dieser Krise anzugehen und die preiszerstörenden Überschüsse abzubauen. Dass dies schnell, unbürokratisch und wirksam möglich ist, hat die niederländische Molkerei FrieslandCampina Anfang dieses Jahres in einem Notfallprogramm bewiesen: Mit einem Bonus-Programm hat sie ihre Milcherzeuger honoriert, wenn diese über einen bestimmten Zeitraum die Milchmenge nicht ausdehnen oder sogar reduzieren. Ein Großteil der Lieferanten zog mit und die Menge konnte begrenzt werden. Außerdem sind weitere Molkereien diesem Beispiel gefolgt. Um aber eine Wirkung auf dem gesamten Markt zu erzielen, müssen noch mehr Molkereien und insbesondere marktbeherrschende wie das DMK mitziehen.

„Seit Monaten fordern wir die DMK-Spitze auf, einen aktiven Beitrag zur Lösung der Krise am Milchmarkt zu leisten und einen befristeten Bonus für Mengenvernunft einzuführen“, kritisiert Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der AbL. „Die DMK-Molkereiführung hat das rundweg abgelehnt, obwohl auch sie die Übermenge am Milchmarkt für den starken Preisverfall verantwortlich gemacht hat. Sie ist noch nicht einmal zu so einem Bonus bereit, wenn andere Molkereien mitziehen. Die Quittung sind fallende Milchpreise, bei denen die Milchbauern durch die Bank Verluste machen. Die Spitze dieser Genossenschaftsmolkerei handelt unverantwortlich“, so Georg Janßen weiter.

Menge muss gedrosselt werden

Da marktführende Molkereien keine Verantwortung übernehmen, muss jetzt der Staat umgehend handeln. Die jüngste Agrarministerkonferenz im April 2016 in Deutschland oder auch die französische Regierung und jetzt sogar EU-Agrarkommissar Phil Hogan zeigen richtungsweisende Maßnahmen auf, um die erzeugte Menge wirksam zu reduzieren. Aber Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und die gesamte Bundesregierung blockieren noch. Zwar übernimmt er Phrasen der Milchbauernbewegung, aber im Kern schindet er Zeit und riskiert dadurch, dass noch mehr Höfe ausbluten. Dabei muss sich der Landwirtschaftsminister jetzt dafür einsetzen, auf EU-Ebene obligatorisch die Menge zu drosseln, um schnellstmöglich der Milchkrise entgegenzuwirken. Aber auch für die Zukunft sind krisenpräventive Marktmechanismen zu installieren: Wenn sich bei der Marktbeobachtungsstelle der EU-Kommission ein Preisverfall durch Überproduktion ankündigt, sind mittels eines Bonus-Malus-Systems Produktionsbegrenzungen herbeizuführen. Betriebe, die weniger liefern, werden honoriert und Betriebe, die in dieser Phase weiterhin zur Überproduktion beitragen, müssen eine Abgabe zahlen.

Außerdem ist „für eine nachhaltige Preiswende am Milchmarkt eine gemeinsame Strategie mit den Bauern notwendig, um für eine gezielte Verringerung der Milchmenge zu sorgen“, so Georg Janßen. „Die Überschüsse im Markt müssten gezielt abgebaut werden, etwa durch Reduzierung der Kraftfuttergaben oder Milchverfütterung an Kälber.“ Des Weiteren fordert die AbL, die europäische Eiweißlücke zu schließen und vermehrt heimische Hülsenfrüchte anzubauen. Die Kühe sind wieder auf höhere Lebensleistung zu züchten statt einseitig auf kurzfristige Milchleistung. Weidehaltung und gentechnikfreie Fütterung müssen gefördert werden.

Die Milch genießt in der Gesellschaft zu Recht einen sehr guten Ruf, den es zu verteidigen gilt. Deshalb braucht es Bewegung und Unterstützung auf allen Ebenen. Am 17. September finden in sieben Städten in Deutschland die Demonstrationen „CETA & TTIP stoppen“ statt. Vom 30. September bis zum 3. Oktober ist in Berlin der 2. „Wir haben es satt“-Kongress, zum Thema „Landwirtschaft Macht Essen“. BürgerInnen sowie Bauern und Bäuerinnen müssen gemeinsam handeln für eine andere Agrarpolitik und für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.
 

Berit Thomsen,
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)

Infos zur Demo und zum Kongress:
www.ttip-demo.de
www.wir-haben-es-satt.de