Freihandel statt Umwelt- und Klimaschutz?

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Freihandel statt Umwelt- und Klimaschutz?

EU und USA beginnen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen
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Lassen sich genetisch manipulierte Produkte aus den USA in Europa bald einfacher vermarkten? (Foto: Fotolia, galam)

 
224 Milliarden Euro im Jahr – so viel zusätzliches Wirtschaftswachstum versprechen die Europäische Kommission und die US-Regierung als Ergebnis eines Investitions- und Freihandelsabkommens (TTIP – Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den beiden immer noch größten Handelsmächten. Der transatlantische Handel ist allerdings schon jetzt weitgehend liberalisiert. Die klassischen Handelshemmnisse (Zölle) betragen im Durchschnitt nur noch etwa drei Prozent und Mengenbegrenzungen für die Ein- und Ausfuhr von Gütern bestehen gar nicht. Die Verhandlungen werden sich daher zwar damit beschäftigen, wie schnell die Zölle ganz abgebaut werden und welche wenigen Ausnahmen es davon geben soll. Dies wird aber nur wenige Produkte und Sektoren stark betreffen – mit Milch allerdings ein wichtiges Agrarprodukt. Das könnte dazu führen, dass sich der schon rasant stattfindende Strukturwandel in der EU hin zu intensiveren Tierhaltungsformen weiter beschleunigt.

Viel größere Handels- und Wachstumseffekte sollen sich aber aus dem Abbau der „nichttarifären“ Handelshemmnisse ergeben. Das sind Kosten, die den Exporteuren durch unterschiedliche Vorschriften und Standards für viele Güter und Dienstleistungen in der EU und den USA entstehen. Es ist nicht vorgesehen, die Standards zu vereinheitlichen, wie dies die EU-Länder im Binnenmarkt tun. Vielmehr geht es meist darum, dass die nach dem jeweils in einem Land gültigen Standard hergestellten Produkte ohne Einschränkung vermarktet werden können.

Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz als Verhandlungsmasse

Nun werden Standards in der Regel nicht mit dem Ziel eingeführt, den Handel zu beschränken, sondern meist um Verbraucher- und Umweltschutz zu verbessern. Entsprechend sind die Unterschiede zwischen EU und USA hier in unterschiedlichen politischen Schwerpunkten und wissenschaftlichen Analysen begründet. Besonders prominent sind diese bei Lebensmitteln. Die USA erlauben zum Beispiel anders als die EU die Desinfektion von Hühnerfleisch mit Chlorwasser und die Behandlung von Rindern mit Wachstumshormonen und sind sehr viel großzügiger bei der Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GMO). Auch die 2006 eingeführte EU-Chemikalienrichtlinie REACH, nach der langfristig sämtliche Substanzen auf Gesundheits- und Umweltrisiken geprüft werden, geht über US-Regeln hinaus. Dagegen sind die USA bei der Zulassung von Medikamenten strenger. Auch Vorschriften, die dem Klimaschutz dienen, wie Energieeffizienzvorgaben oder entsprechende Kennzeichnungen, können Beschränkungen im Handel zur Folge haben und damit Gegenstand der TTIP-Verhandlungen werden.

In der Welthandelsorganisation WTO gab es schon einige Streitfälle zwischen EU und USA zu unterschiedlichen Standards. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele dieser Konflikte in den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen wieder aufflammen. Die EU-Kommission betont zwar, es werde nicht zu einem Aufweichen europäischer Standards bei Umwelt- und Verbraucherschutz kommen. Dann ist allerdings unklar, wie es zu den prognostizierten Wachstumseffekten kommen soll. Zudem haben US-amerikanische Firmen und Lobbyverbände beispielsweise die einfachere GMO-Zulassung als zentrale Forderung definiert.

Noch vor Beginn der Verhandlungen trat ein weiterer Konfliktpunkt ins Rampenlicht: US-amerikanische Internetanbieter und Onlinehändler fordern besseren Zugang zu den Daten ihrer europäischen Kunden. Dies ist vor dem Hintergrund des Datensammelskandals in den USA besonders brisant. Durch die Meldungen, dass US-Geheimdienste auch die EU-Botschaft in Washington abgehört haben, ist das Vertrauen erst einmal schwer beschädigt.

Eine bessere Koordination von Vorschriften und Standards zu Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz zwischen den USA und der EU wäre sicher sinnvoll. Ein Verhandlungsforum, das diese vor allem als Handelshemmnisse betrachtet, ist aber die falsche Plattform.

Tobias Reichert

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