Reform des Welthandelssystems oder neue Liberalisierungsrunde?

 

Kommentar zur Mitteilung der Kommission von 8. Juli 1999 an die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament über die Strategie der EU für eine neue WTO-Verhandlungs runde: "The EU Approach to the Millennium Round"

Herausgeber:
 

Forum Umwelt & EntwicklungGermanwatch
www.forumue.dewww.germanwatch.org

Verantwortlich:

Jürgen Maier

Autoren:
Die vorliegende Publikation wurde von einem Autorenkollektiv von Germanwatch erstellt: Michael Windfuhr, Dr. Rainer Engels, Martina Schaub, Dr. Michael Baumann.
Für die engagierte Unterstützung sei der Arbeitsgruppe Handel im Forum Umwelt und Entwicklung gedankt.

Redaktion:
Martina Schaub

Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) finanziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMU wieder.

Bonn, September 1999

INHALT:

Zusammenfassung
Keine neue Verhandlungsrunde der WTO
Das Verhandlungsmandat ist unzureichend
Tempo herausnehmen

Zentrale politische Forderungen für eine Überarbeitung des EU-Ansatzes

Teil I: Allgemeine entwicklungs-politische, soziale und ökologische
Bewertung des EU-Ansatzes

Keine neue Verhandlungsrunde in Seattle
Kommentar zu den Grundüberlegungen der EU für eine neue Verhandlungsrunde
Für ein multilaterales Handelssystem zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung
Berücksichtigung der Zivilgesellschaft

Teil II: Detail-Kommentar der Kommis-sionsvorschläge für die einzelnen
Verhandlungsbereiche (Kap. III - VIII)

Zu Kap. III - Specific Sectors and Issues
Zu Kap. IV - Other Issues
Zu Kap. V - Working with Our Partners
Zu Kap. VI - Working with the European Parliament
Zu Kap. VII - Working with Civil Society

Zusammenfassung

Keine neue Verhandlungsrunde der WTO

Das Hauptanliegen der europäischen Kommission in ihrem Papier "EU-Approach to the Millennium-Round" ist es, eine umfassende Agenda für eine sehr breit angelegte neue WTO-Verhandlungsrunde zu erreichen, organisiert als "single undertaking", d.h. alle Mitglieder sollen am Ende der Runde über das gesamte Ergebnispaket abstimmen. In diese Runde sollen alle derzeit laufenden Verhandlungen in der WTO integriert werden. Dazu gehören die Überprüfungen und Weiterverhandlungen in verschiedenen Bereichen des WTO-Vertragswerkes, die zum Abschluß der Uruguay-Runde bereits beschlossen wurden, die sogenannte "built-in-agenda", sowie die Verhandlungen über neue Themen, die auf der Ministerkonferenz von Singapur begonnen wurden. Zusätzlich zu diesen ohnehin laufenden Verhandlungen schlägt die EU eine umfassende Agenda für eine sog. Millennium-Runde vor, in die zusätzlich ganz neue Themen, z.B. das Investitionsthema, integriert werden sollen.

Verhandlungsstrategisch ist die neue Runde das zentrale Anliegen der Kommission, denn sie befürchtet, daß die EU ohne neue Runde bei den anstehenden Verhandlungen in den Teilbereichen zu hohe Zugeständnisse machen muß. Im Rahmen der built-in-agenda wird z.B. der Agrarbereich separat verhandelt, d.h. Zugeständnisse, die die EU dort machen muß, kann sie nicht mit Zugeständnissen in anderen Verhandlungsbereichen gegenrechnen. Es ist vor allem diese derzeit sehr schwierige Verhandlungsposition der EU im Agrarbereich, die die EU dazu bringt, unbedingt auf der Durchführung einer neuen umfassenden Runde zu bestehen. Viele der im Kommissionspapier angesprochenen Anliegen der EU wären jedoch ohne eine neue Runde ebenfalls zu erreichen. Die EU weiß um die Widerstände gegen die Aufnahme einer neuen Runde, die sowohl bei Entwicklungsländern als auch bei Nichtregierungsorganisationen aus dem Umwelt- und dem Entwicklungsbereich - in der EU selbst, aber auch aus anderen Teilen der Welt – bestehen. Daher versucht die Kommission in ihrem Papier, die Anliegen gerade dieser Gruppen besonders aufzunehmen und konkrete Angebote zu machen, um für die Idee einer umfassenden Runde zu werben.

Zu Beginn einer kritischen Kommentierung kann zunächst festgehalten werden, daß die Argumente, die die Kommission für eine neue Runde vorbringt nicht überzeugend sind. Die Angebote an die Kritiker im Kommissionspapier reichen bei weitem nicht aus, die Gegenargumente gegen eine Runde zu entkräften. Zudem sind viele der Ziele, die die Kommission vorschlägt auch ohne neue Runde, eventuell sogar besser als mit einer umfassenden Runde zu erreichen.

Grundsätzlich sind die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, die im Forum Umwelt und Entwicklung zu Handelsthemen eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden, der Auffassung, daß die WTO zunächst einer umfassenden Reform unterzogen werden muß, für die bereits heute ein erheblicher Verhandlungsbedarf existiert. Dies sollte aber nicht in der Form einer neuen umfassenden Liberalisierungsrunde erfolgen, sondern bedarf zunächst einer gründlichen Evaluierung, in der die Ergebnisse der Uruguay-Runde im Hinblick auf ihre sozialen, entwicklungs- und umweltpolitischen Auswirkungen untersucht werden müßten. Ein multilaterales Ordnungssystem für den Welthandel wird von den deutschen NRO grundsätzlich als positiv eingeschätzt, da es prinzipiell dazu geeignet ist, schwächeren Teilnehmern am Welthandel eine faire Position einzuräumen. Jedes multilaterale Ordnungssystem muß aber zu allererst der Realisierung der zentralen Ziele der Arbeit der Vereinten Nationen dienen, der Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung des weltweiten Wirtschaftens und der Durchsetzung der Menschenrechte.

Fünf zentrale Argumente bestimmen die eine neue Verhandlungsrunde ablehnende Position der deutschen NRO:

 
 
 

Ohne eine grundlegende Bestandsaufnahme und sorgfältige Abschätzung der bestehenden Verträge und Liberalisierungsfortschritte der Uruguay-Runde, sollten keine neuen weitreichenden Disziplinen und Liberalisierungsschritte geplant werden. Insbesondere die Auswirkungen auf die Umwelt, die soziale Situation, die Lage von Frauen und ökonomisch besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen, die Menschen- und Arbeitnehmerrechte und die Entwicklungsperspektiven der Länder des Südens müssen sorgfältig untersucht werden. Die Ergebnisse könnten dann als Basis für eine entwicklungs-, umwelt- und sozialverträgliche Reform der WTO genutzt werden. Zudem macht das hohe Tempo der Vorbereitungen für eine umfassende Handelsrunde demokratische Abstimmungsprozesse in den einzelnen Ländern unmöglich. Den Parlamenten und zivilgesellschaftlichen Akteuren muß auf den verschiedenen Ebenen ausreichend Zeit für Debatten sowie angemessene Entscheidungsspielräume gegeben werden. Das gilt insbesondere für eine Beteiligung des EU-Parlaments an der Gestaltung des endgültigen Verhandlungsmandates und dem Verhandlungsfortgang.

 
 
 

Die bestehenden WTO-Verträge weisen große Ungleichgewichte zu Lasten der Entwicklungsländer auf, auch und gerade bei den für sie besonders wichtigen Abkommen über Landwirtschaft und Textilien. Während in den für Industrieländern (IL) interessanten neuen Themen (z.B. dem Handel mit Dienstleistungen) substantielle Liberalisierungserfolge durchgesetzt werden konnten, wurden gerade in den Handelsbereichen, die für ärmere EL von Bedeutung sind, wie dem Agrar- oder Textilbereich, nur sehr unzureichende Zugeständnisse der IL erreicht. Angesichts der zögerlichen Umsetzung der Ergebnisse der Uruguay-Runde, die insgesamt nicht als gleichgewichtig bezeichnet werden können, ist die Gefahr groß, daß in einer neuen Runde von EL erneut erhebliche Liberalisierungsschritte erwartet werden, denen die EU und andere Industrieländer wiederum kleine Zugeständnisse im Agrar- oder anderen Bereichen gegenüberstellen werden, Zugeständnisse, die eigentlich in der Uruguay-Runde hätten erfüllt werden müssen.

 
 
 

Sowohl die internen Strukturen der WTO als auch ihre Stellung im internationalen System verweisen auf grundlegende Demokratiedefizite. Da viele Regelungen der WTO nationale Gesetzgebung einschränken, dürfen Verträge nicht exklusiv zwischen Regierungen ausgehandelt werden. Öffentlichkeit, Parlamente und NRO müssen an den Diskussions- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Formell sind alle WTO-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt. Dennoch behindert die Struktur der Verhandlungen wegen ihrer Komplexität und Häufigkeit eine tatsächliche Partizipation vieler Entwicklungsländer im auch außerhalb der Sonderrunden mit hohem Tempo voranschreitenden Entscheidungsprozeß. Diese Defizite müssen zuerst beseitigt werden, bevor über eine weiterreichende Verhandlungsrunde gesprochen werden kann.

 
 
 

Das Kräfteverhältnis zwischen der WTO und den internationalen Organisationen im UN System, die sich mit den angeblich weichen Existenzgrundlagen der Menschheit: nachhaltiger Entwicklung, politischer und sozialer Menschenrechte beschäftigen, muß neu ausbalanciert werden. Besonders problematisch ist es, daß die Kompetenzen und die Finanzausstattung der Institutionen im UN-System, die für Fragen der Ökologie oder der Menschenrechte zuständig sind, stagnieren während die führenden Wirtschaftsblöcke im Bereich der Weltwirtschaftsordnung substantielle qualitative Neuerungen fördern. Es ist diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklung, die dazu führt, daß die entstehenden Governance-Strukturen auf internationaler Ebene von den ökonomischen Machtverhältnissen dominiert werden, während andere Anliegen relativ geschwächt werden.

  1. Tempo herausnehmen

  2.  
  3. Existierende Ungleichgewichte beseitigen

  4.  
  5. Reform der internen Struktur der WTO ist notwendig

  6.  
  7. Verankerung der WTO im System der Vereinten Nationen

  8.  
  9. Keine Behandlungen des Investitionsthemas im Rahmen der WTO
Die deutschen NRO sind in Übereinstimmung mit den meisten NRO im Norden wie im Süden der Auffassung, daß es im Rahmen der WTO zu keiner Verhandlung des Investitionsthemas kommen sollte. Dabei gilt, daß die deutschen NRO einer internationalen Regelung von Investitionen generell positiv gegenüberstehen. Die gemeinsame Forderung von NRO lautet aber, daß zur angemessenen Bearbeitung des Themas eine Konferenz auf der Ebene der Vereinten Nationen einberufen werden sollte, an der auch andere relevante internationale Organisationen teilnehmen sollten. Dort müßte zunächst grundsätzlich geprüft und verhandelt werden, wie eine zukünftige multilaterale Regulierung des Investitionsbereiches aussehen sollte. Für NRO gehört zu einer solchen Regulierung auch eine Klärung der Pflichten von Investoren (Verhaltensstandards), ein Gedanke, der dem Kommissionspapier gänzlich fehlt.

Das Verhandlungsmandat ist unzureichend

Für den Fall, daß während der dritten Ministerkonferenz in Seattle Ende des Jahres dennoch der Beginn einer neuen Verhandlungsrunde beschlossen wird, wäre der von der Kommission vorgelegte Vorschlag für ein EU-Verhandlungsmandat unzureichend. Dieser müßte nach Ansicht der in der AG-Handel des Forum Umwelt und Entwicklung zusammenarbeitenden NRO von gravierenden Schwachstellen bereinigt und an anderen Stellen ergänzt und präzisiert werden. Die NRO haben trotz ihrer grundlegenden Ablehnung der Aufnahme einer neuen Verhandlungsrunde deshalb den folgenden Kommentar zum Verhandlungsmandatsvorschlag der Kommission vorgelegt, der detailliert aus heutiger Sicht für jeden vorgesehenen Verhandlungsbereich ergänzende bzw. verändernde Vorschläge enthält. Parallel zu kritischen Anmerkungen wird in dem Kommentar immer wieder auf unterstützenswerte Ansätze im EU-Papier hingewiesen. In dem Kommentar wird zudem deutlich gemacht, daß viele der vorgeschlagenen Themen ohne Aufnahme einer neuen Runde in der WTO verhandelt werden könnten. Die Kritik der NRO läßt sich in sechs zentralen Punkten zusammenfassen:

  1. Trotz deutlicher Signale der EU an Entwicklungsländer für neue Zugeständnisse und der Zusage, die Aufnahme einer eigenen Entwicklungsagenda in einer neuen Runde zu unterstützen, bleiben die erkennbaren Zugeständnisse an Entwicklungsländer im Papier der Kommission unzureichend. Im Agrarbereich sind kaum Zugeständnisse enthalten. Die geplante Zollbefreiung für Produkte aus den am wenigsten entwickelten Ländern hat erhebliche Einschränkungen und bezieht nicht-tarifäre Handelshemmnisse nicht ein. Die Unbalanciertheit der Ergebnisse der Uruguay-Runde wird insofern fortgeschrieben, als den geringen Zugeständnissen gegenüber EL erhebliche Forderungen nach Marktöffnung für EL enthalten sind, sowie die Behandlung ganz neuer Themen und Disziplinen.
  2. Mehrfach muß die Kommission zugestehen, daß das bisherige Tempo der Liberalisierung viele Entwicklungsländer überfordert, die termingerecht z.T. gerade erst beginnen, die Ergebnisse der Uruguay-Runde umzusetzen (da sie in vielen Bereichen eine Umsetzungsfrist bis 2004 haben). In Anerkenntnis des Dilemmas, daß weitere Liberalisierungsvorschläge angesichts dieser Situation auf Widerstände in dieser Ländergruppe stoßen könnten, ist das EU-Papier voll mit Angeboten für technische Hilfestellung bei der Implementierung der Ergebnisse. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der tatsächlichen Bereitschaft zu technischer Hilfestellung und der begrenzten Willigkeit, für solche Hilfestellungen die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, erstaunt das Vertrauen der Kommission in dieses Instrument - zumal die Kommission sorgfältig vermeidet, zu benennen, welche Institutionen diese Hilfestellung geben sollen und wer sie bezahlen wird. Gerade hier wird deutlich, daß statt einer Beschleunigung der Liberalisierungsagenda eine Herausnahme von Tempo und sorgfältige Umsetzung und Überprüfung des bisher Erreichten notwendig wäre.
  3. Nicht zustimmen können die NRO verschiedenen Vorschlägen für eine weiterreichende Liberalisierung in Bereichen neuer Themen. Die NRO sind gegen eine Behandlung des Themas Investitionen in der WTO. Im Bereich der Dienstleistungen, der Regelung von Regierungsaufträgen, einer Stärkung der Internationalisierung der Standardsetzung etc. ist zumindest zunächst eine Abschätzung der möglichen Auswirkungen neuer Liberalisierungsschritte notwendig, bevor mit weitreichenden Verhandlungen begonnen wird.
  4. Das Thema Handel und Umwelt wird von der Kommissison aufgegriffen und als wichtiger Teil der Agenda angesehen. Der Begriff nachhaltige Entwicklung wird sogar ausgesprochen häufig verwendet. Dennoch bleibt die Thematisierung auch hier unzureichend und unverbindlich. Wichtige Aspekte des Themas Handel und Umwelt werden ausgespart (z.B. umweltschädigende Subventionen). Nachhaltige Entwicklung wird vor allem als nachhaltiges Wirtschaftswachstum definiert, ohne auf die tatsächlich vorhandenen Probleme einzugehen, eine internationale Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die auf nachhaltigen Produktions- und Konsummustern basiert.
  5. Das Papier der Kommission spricht zwar mögliche Kohärenzprobleme zwischen dem Welthandelsregime und Anforderungen in anderen internationalen Politikbereichen am Beispiel der Finanzinstitutionen und der internationalen Umweltschutzabkommen an. Dennoch macht die Kommission keine zufriedenstellenden Vorschläge, wie die WTO mittels Kooperationsabkommen oder einer Einbettung in die WTO in ein sinnvolles System von "global governance" eingebunden werden könnte, daß grundsätzlich der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung verpflichtet wäre. Mögliche Zielkonflikte zwischen internationalen Regimen werden durch Verweis auf "win-win"-Situationen nicht thematisiert.
  6. Sehr unzufriedenstellend sind die Vorschläge der EU zu einer größeren Transparenz und zu einer verbesserten Partizipation aller WTO-Mitglieder aber auch anderer an der WTO interessierter Akteure, wie der von Parlamentariern oder NRO. Im Hinblick auf eine mögliche innere Strukturreform in der WTO enthält das Papier der Kommission kaum neue Vorschläge.

Tempo herausnehmen

Die in der AG-Handel zusammenarbeitenden NRO fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich in der EU für eine Herausnahme des Tempos aus den WTO-Verhandlungen einzusetzen, den Beginn einer neuen Verhandlungsrunde zu verschieben sowie sich für eine Reform der WTO im skizzierten Rahmen hin zu nachhaltiger Entwicklung einzusetzen, ein Vorhaben, das auch der Bonner Koalitionsvertrag an herausgehobener Stelle mehrfach enthält.

Für eine bedeutungsvolle Reform der WTO in Richtung nachhaltiger Entwicklung wäre eine neue Runde unnötig. Entwicklungsländer wären sinnvollen Reformbestrebungen wesentlich offener gegenüber, wenn die Industrieländer, hier natürlich besonders die EU, von sich aus durch eigene Zugeständnisse, zu einer balancierten Verteilung der Rechte und Pflichten und der Gewinne und Verluste im Rahmen der WTO beitragen würden. Solange bei für EL zentralen Themen, wie dem Agrarbereich, die Zugeständnisse der IL marginal bleiben, von EL aber weitere Liberalisierungsschritte verlangt werden, ist eine größere Balanciertheit nicht zu erwarten. Selbst die Behandlung sogenannter "sensibler Themen", wie Handel und Umwelt oder Handel und Arbeitsstandards wäre glaubwürdiger und leichter zu führen, wenn sie nicht in den normalen "WTO-bargaining-process" eingebettet werden, was bei EL das Gefühl hinterlassen kann, für Zugeständnisse z.B. im Agrarbereich die Kröte des Themas "Handel und Umwelt" schlucken zu müssen. Fragen der Strukturreform der WTO, hin zu mehr Transparenz, besserer Information und der Ermöglichung einer guten Beteiligung gerade der ärmeren EL an den regelmäßigen Verhandlungen in der WTO, sowie einer verbesserten, dem System bei den Vereinten Nationen entsprechenden Beteiligung von NRO, sollten ohnehin jenseits einer Verhandlungsrunde über Zugeständnisse im Außenhandel geklärt und diskutiert werden.

Grundlage des Funktionierens der Welthandelsorganisation ist das Prinzip des "bargainings" in Verhandlungsrunden, ein Prinzip, daß sich in der Vergangenheit als leistungsfähig erwiesen hat. Die derzeitigen Herausforderungen in der WTO machen aus NRO-Sicht aber gerade keine Verhandlungsrunde notwendig, sondern erfordern eine systematische Reflexion über den Stand und die Verbesserungsnotwendigkeiten des Welthandelsregimes. Gerade die weltweit wachsenden Widerstände in Entwicklungsländern sowie der Zivilgesellschaft in Nord und Süd über unverkennbar negative soziale und ökologische Auswirkungen einer zu schnellen ökonomischen Globalisierung, die besonders durch politisch und rechtlich eingeleitete Liberalisierungsabkommen ermöglicht und erheblich beschleunigt wurde, machen deutlich, daß in der Tat eine Pause für ein Überdenken, eine Abschätzung der bisherigen Auswirkungen nötig ist. Dieses Innehalten sollte sinnvoll dazu genutzt werden, die skizzierten strukturellen Reformen innerhalb der WTO auf den Weg zu bringen. Daß auf die EU ohne umfassende Verhandlungsrunde möglicherweise höhere Anpassungsleistungen zukommen könnten, wäre nach

Überzeugung der NRO der notwendige Preis für die nachhaltige Ausbalancierung eines multilateralen Ordnungsrahmens, in dessen Rahmen eine glaubhafte Orientierung hin auf nachhaltige Entwicklung zu erreichen ist.

Zentrale politische Forderungen für eine Überarbeitung des EU-Ansatzes

è Keine Milleniumrunde, wir fordern statt dessen eine umfassende WTO-Reform

Wir haben zu den einzelnen Themen für eine grundlegende Reform der WTO die folgenden Forderungen. Ausführlich werden die Punkte in dem jeweiligen Kapitel in Teil II behandelt.

Landwirtschaft

  • Abbau der Ungleichgewichte hinsichtlich der bisher erfolgten Liberalisierung der Agrarmärkte, d.h. verbesserte Marktzugangsmöglichkeiten für Entwicklungsländer
  • Keine Verlängerung oder Neuaufnahme von protektionistischen Maßnahmen in das AoA (Friedens-

  • klausel, special safeguard provisions)
  • Anerkennung von Ernährungssicherheit als "non-trade-concern" nach Art. 20 AoA
  • Überarbeitung der sog. "blue-box"-Maßnahmen und Ausbau der "green-box"
  • Streichung sämtlicher EU-Exportsubventionen

Dienstleistungen

  • Sorgfältige Analyse der Auswirkungen der Uruguay-Runde statt neuer Verhandlungen
  • Umsetzung der Sonderrechte, die das GATS den EL zugesteht

Investitionen

  • Verhandlung des Investitionsthemas nicht im Rahmen der WTO
  • Statt dessen: Bearbeitung durch eine Konferenz auf der Ebene der UN
  • Gewährleistung von Transparenz und Partizipation der Betroffenen
  • Anerkennung von internationalen Standards in den Bereichen Arbeit, Umweltschutz, etc.

Wettbewerb

  • Entwicklung eines internationalen Wettbewerbsrechtes zur Begrenzung der Marktmacht der TNK (Transnationale Konzerne)
  • Unterstützung der EL bei notwendigen gesetzgeberischen und institutionellen Anpassungen durch finanzielle und technische Hilfe sowie flexible Übergangsphasen

Handelserleichterungen

  • Finanzierung von technischen Hilfen und Übergangsfristen für EL bei der Umstellung von Außenhandelsprozeduren

Zölle für Nicht-Agrarprodukte

  • Untersuchung der Auswirkungen der Präferenzerosion auf die Entwicklungsländer
  • Zollfreier Zugang zu Märkten der IL für Produkte aus den LLDCs - Verzicht auf die Sicherheitsklausel "essentially"all products

Handel und Umwelt

  • Das Verhältnis von WTO-Regelwerk und Multinationalen Umweltabkommen (MEA) muß geklärt werden - im Streitfall mit Vorrang für die MEA
  • Berücksichtigung von Verarbeitungs- und Herstellungsmethoden (PPM) im Regelwerk der WTO
  • Verankerung des Vorsorgeprinzips, daraus folgend eine Umkehr der Beweislast im Streitschlichtungs-

  • verfahren bei entsprechenden Fällen
  • Aufnahme formeller Zusammenarbeit zwischen der WTO und internationalen Umweltorganisationen

TRIPS – Geistige Eigentumsrechte

  • Keine Patentierung von Lebewesen oder Teilen von diesen im Rahmen des TRIPS-Abkommens
  • Abschätzung der entwicklungspolitischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des Abkommens

  • vor jeder Weiterentwicklung

Öffentliches Beschaffungswesen

  • Verankerung von Regeln zur Vermeidung von Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen
  • Möglichkeiten des special and differential treatment für EL müssen geschaffen werden

Technische Handelshemmnisse

  • Neuen und weitreichenden Liberalisierungen in diesem Bereich muß eine Analyse der Auswirkungen

  • des TBT(Technical Barriers to Trade) vorangehen

Gesundheitsschutz

  • Transparente Festsetzung von internationalen Standards unter Beteiligung von Verbraucherverbänden

Handelsbeschränkende Instrumente

  • Abbau des Ungleichgewichts zu Lasten der EL hinsichtlich der Klassifizierung von Subventionen als Ausnahmen

Neue Runde und Entwicklung

  • Die Gewährung von technischer Hilfe für EL sollte als Voraussetzung für eine Klage vor dem WTO-Schiedsgericht festgeschrieben werden
  • Verbesserte Zusammenarbeit der WTO mit anderen Internationalen Organisationen zur Sicherstellung

  • von Kohärenz hinsichtlich des Entwicklungszieles
  • Vereinfachung der institutionellen Struktur der WTO

Trade and core labour standards

  • Einrichtung einer AG zum Thema Handel und Arbeitsstandards
  • Zusammenarbeit der WTO mit der ILO

Weitere Punkte

  • Verstetigung des Informationsflusses zwischen WTO und nationalen Parlamenten sowie dem EP
  • Gewährleistung einer de facto demokratischen und parlamentarischen Kontrolle der WTO durch die nationalen Parlamente

Teil I: Allgemeine entwicklungs-
politische, soziale und ökologische
Bewertung des EU-Ansatzes

Mit dem folgenden Text legen wir eine kritische Auseinandersetzung mit dem Papier der EU-Kommission "The EU-Approach to the Millennium Round" vor. Ziel ist es, aus Sicht von entwicklungs- und umweltpolitischen Nichtregierungsorganisationen (NRO) Schwachstellen des bisherigen EU-Ansatzes deutlich zu machen und konkrete Veränderungs- bzw. Erweiterungsvorschläge zu machen.

Der Kommentar ist zweigeteilt. Im ersten Teil wird eine allgemeine entwicklungspolitische, soziale und ökologische Bewertung des EU-Ansatzes in vier Schritten vorgenommen. Im ersten Schritt wird die internationale Position von NRO begründet, die sich in großer Übereinstimmung gegen eine neue Verhandlungsrunde aussprechen. Dies wird im zweiten Schritt ergänzt um eine Kommentierung der beiden ersten Kapitel des EU-Ansatzes, in denen sich die Kommission generell zur Neuaufnahme einer Runde äußert. Im einem dritten Schritt werden zwei Kernanliegen des EU-Ansatzes und ihre Umsetzung im Text gesondert analysiert, der Umgang der EU-Kommission mit dem Begriff "nachhaltiger Entwicklung" und die Vorschläge der Kommission zur verbesserten Einbeziehung von NRO in den weiteren WTO-Prozeß. Zum Schluß werden alle Verbesserungsvorschläge gesammelt, die im Teil II des Textes einem Detailkommentar des EU-Ansatzes zu den verschiedenen Verhandlungsbereichen gegeben werden.

Im zweiten Teil des Textes werden in einem detaillierten Kommentar die Kapitel III - VII des EU-Ansatzes Punkt für Punkt kommentiert und mögliche Verbesserungsvorschläge genannt. Hier kann jede Leserin / jeder Leser einen schnellen Zugriff auf die Kritik zu einzelnen Verhandlungsbereichen haben.

1. Keine neue Verhandlungsrunde in Seattle

Zunächst ist festzuhalten, daß viele deutsche umwelt- und entwicklungspolitische NRO, aber auch auf internationaler Ebene in einem gemeinsamen Statement mit über 900 NRO aus allen Kontinenten, sich deutlich gegen die Aufnahme einer neuen Verhandlungsrunde ausgesprochen haben. Damit widersprechen die NRO dem zentralen Anliegen der EU-Kommission, der Einberufung einer neuen, umfassenden Verhandlungsrunde. Die Argumente der EU-Kommission für die Aufnahme einer neuen Runde sind aus Sicht der NRO nicht überzeugend. Viele Ziele, die die Kommission benennt und die auch bei NRO Unterstützung finden, können im Rahmen der normalen WTO-Verhandlungen erreicht werden.

Die Europäische Kommission war von Beginn an die wichtigste Befürworterin für die Einberufung einer neuen Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO). Der Hintergrund dieses EU-Interesses liegt in der im Kommissionspapier besonders deutlich werdenden Tatsache, daß unabhängig von einer neuen Verhandlungsrunde in verschiedenen Bereichen der der WTO zugrundeliegenden Abkommen, ohnehin weiterverhandelt werden wird, so z.B. im Agrarhandelsbereich. Diese im Ergebnis der Uruguay-Runde festgehaltene "eingebaute Agenda" (build-in-agenda) birgt für die EU die Problematik, daß jeder Themenbereich getrennt verhandelt werden wird. Die EU hegt deshalb Befürchtungen, daß bei den anstehenden Verhandlungen im Agrarbereich große Anpassungsleistungen auf die EU zukommen werden, ohne daß gleichzeitig substantielle Vorteile in anderen Bereichen des Außenhandels erreicht werden können. Eine neue Runde würde demgegenüber den Vorteil bieten, daß Ergebnisse verschiedener Handelssektoren gegeneinander aufgerechnet, d.h. Lasten im Agrarbereich durch Zugeständnisse anderer Länder in anderen Sektoren ausgeglichen werden könnten. Deshalb betont die EU-Kommission an verschiedenen Stellen ihres Papiers erstens die Notwendigkeit, eine umfassende Runde durchzuführen, und zweitens, dies methodisch als "single undertaking" anzugehen, d.h. bevor ein Land Zugeständnisse machen muß, müssen erst alle Länder allen Teilergebnissen der Verhandlungen zustimmen. Die NRO sehen dringenden Handlungsbedarf bei der Europäischen Agrarpolitik. Sowohl bei der Exportpolitik als auch beim Marktzugang muß die EU erhebliche Zugeständnisse an Entwicklungsländer machen. Dies wäre bereits in der Uruguay-Runde ihre Pflicht gewesen. Die EU hat mit der Agenda 2000 die Chance verpaßt, eine substantielle Reform in diesem Sinne durchzuführen. Wir lehnen daher die Verbindung dieser Zugeständnisse der EU mit Zugeständnissen der EL in anderen Bereichen ab, die ein
zwangsläufiges Ergebnis einer neuen Verhandlungsrunde wären.

Viele WTO-Mitgliedsländer stehen der Aufnahme einer neuen Runde skeptisch bis dezidiert ablehnend gegenüber. Entwicklungsländer signalisieren keine große Bereitschaft. Sie befürchten, daß eine neue Runde zu neuen Verpflichtungen ihrerseits führen würde, während die Umsetzung der Beschlüsse der Uruguay-Runde gerade auf seiten der Industrieländer immer noch defizitär ist. Viele Länder verweisen darauf, daß die Aufnahme einer neuen Runde das Tempo der international verhandelten Deregulierung noch einmal erhöhen könnte und fühlen sich von diesem überrollt. Die schnelle Öffnung der Kapitalmärkte war einer der krisenverschärfenden Elemente während der Asienkrise. Die notwendigen Anpassungen aufgrund der Regelungstiefe der WTO müssen zunächst umgesetzt und deren Ergebnisse sorgfältig überprüft werden, so die Position vieler EL, bevor weitere Schritte im Hinblick auf die Einführung einer Wettbewerbsordnung, der Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesen etc. durchgeführt werden könnten. Sehr skeptisch sind die meisten Entwicklungsländer zudem gegenüber der Behandlung eines weiteren "neuen Themas" im Rahmen der WTO: den Investitionsregeln.

Die NRO-Kritik an der Aufnahme einer neuen Verhandlungsrunde läßt sich in fünf Punkten resümieren, die im Detail im Verlauf des Kommentars noch ausgeführt werden wird. Zunächst ist jedoch festzuhalten, daß aus unserer Sicht ein regelgebundenes, multilaterales Welthandelssystem gerade schwächeren Teilnehmern am Welthandel Vorteile bietet. Besonders Entwicklungsländer (EL) haben in den 80er Jahren oft unter der unilateralen Außenhandelspolitik der großen Handelsnationen, vor allem den USA und der EU, gelitten. Agrarexportsubventionen ruinierten die Weltagrarmärkte, mit weitreichenden sozialen und ökologischen Auswirkungen, hohe Hürden im Welttextilhandel haben viele Entwicklungsländer beim Ausbau ihrer Textilwirtschaft behindert, eine wachsende Zahl von versteckten nicht-tarifären Handelshemmnissen bestimmten den Handelsalltag besonders von EL. Hierzu gehörten "freiwillige Selbstbeschränkungsabkommen", Anti-Dumping-Maßnahmen ebenso wie undurchsichtige Importregeln im Hinblick auf technische oder andere Arten von Standards. In vielen der hier benannten Problembereiche hat die Uruguay-Runde Vorteile für EL gebracht. Die meisten Verfahren sind transparenter geworden und Mißbrauch ist schwieriger geworden. EL haben bereits eine Reihe von Streitschlichtungsverfahren gewonnen - auch gegenüber den USA und der EU. Den genannten positiven Entwicklungen stehen aber auch erhebliche Schwächen, unzufriedenstellende Ergebnisse und unzureichend geregelte Bereiche gegenüber. Das komplexe, mehrere hundert Seiten umfassende Regelwerk bedarf an wichtigen Stellen substantieller Ergänzungen.

Die fünf wichtigsten Kritikpunkte von NRO an einer neuen Verhandlungsrunde der WTO sind:

 
 
 

Ohne eine grundlegende Bestandsaufnahme und sorgfältige Abschätzung der bestehenden Verträge und Liberalisierungsfortschritte der Uruguay-Runde, sollten keine neuen weitreichenden Disziplinen und Liberalisierungsschritte geplant werden. Insbesondere die Auswirkungen auf die Umwelt, die soziale Situation, die Lage von Frauen und ökonomisch besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen, die Menschen- und Arbeitnehmerrechte und die Entwicklungsperspektiven der Länder des Südens müssen untersucht werden. Die Ergebnisse könnten dann als Basis für eine entwicklungs-, umwelt- und sozialverträgliche Reform der WTO genutzt werden. Zudem macht das derzeitige Tempo der Vorbereitungen für eine umfassende Handelsrunde demokratische Abstimmungsprozesse in den einzelnen Ländern unmöglich. Den Parlamenten und zivilgesellschaftlichen Akteuren muß auf den verschiedenen Ebenen ausreichend Zeit für Debatten sowie angemessene Entscheidungsspielräume gegeben werden. Das gilt insbesondere für eine Beteiligung des EU-Parlaments an der Gestaltung des endgültigen Verhandlungsmandates und dem Verhandlungsfortgang.

 
 
 

Die bestehenden WTO-Verträge weisen große Ungleichgewichte zu Lasten der Entwicklungsländer auf, auch und gerade bei den für sie besonders wichtigen Abkommen über Landwirtschaft und Textilien. Bei vielen im WTO-Rahmen vorgesehenen Vorzugsbehandlungen für Entwicklungsländer bestehen erhebliche Defizite. Angesichts der zögerlichen Umsetzung der Ergebnisse der Uruguay-Runde, die insgesamt nicht als gleichgewichtig bezeichnet werden können, ist die Gefahr groß, daß in einer neuen Runde von EL erneut erhebliche Liberalisierungsschritte erwartet werden, denen EU und andere Industrieländer wiederum kleine Zugeständnisse im Agrar- oder anderen Bereichen gegenüberstellen, die eigentlich in der Uruguay-Runde hätten erfüllt werden müssen. Während in den für Industrieländern (IL) interessanten neuen Themen (z.B. dem Handel mit Dienstleistungen) substantielle Liberalisierungserfolge durchgesetzt werden konnten, wurden gerade in den Handelsbereichen, die für ärmere EL von Bedeutung sind, wie dem Agrar- oder Textilbereich, nur sehr unzureichende Zugeständnisse der IL erreicht. Die IL konnten beispielsweise zwei Drittel ihrer Agrarexportsubventionsmöglichkeiten retten.

 
 
 

Sowohl die internen Strukturen der WTO als auch ihre Stellung im internationalen System verweisen auf grundlegende Demokratiedefizite. Da viele Regelungen nationale Gesetzgebung einschränken, dürfen Verträge nicht exklusiv zwischen Regierungen ausgehandelt werden. Öffentlichkeit, Parlamente und NRO müssen an den Diskussions- und Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Formell sind alle WTO-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt. Dennoch benachteiligt die Struktur der Verhandlungen eine effektive Partizipation von vielen Entwicklungsländern im Entschei-dungsprozeß. Die hohe Zahl regelmäßiger Treffen, die permanente Weiterentwicklung der Vertragsergebnisse und die sehr hohe Zahl von Treffen mit informellem Charakter verhindern, daß alle Mitglieder tatsächlich gleichberechtigt in die Verhandlungen involviert sind. Über 20 WTO-Mitglieder haben keine Vertretung in Genf, sechs Mitglieder nicht einmal in Europa. Zur Frequenz der Treffen kommt die Komplexität der Verhandlungsmaterien. Viele Entwicklungsländer haben inzwischen offiziell erklärt, daß sie große Teile der Ergebnisse der Uruguay-Runde weder in nationales Recht überführt, noch in ihrer ganzen Reichweite verstanden haben. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Initiativen zur Verbesserung der Verhandlungspositionen von EL im WTO-System. Die WTO hat ein eigenes technisches Informations- und Unterstützungssekretariat für EL eröffnet. Auf die Initiative der Regierung der Niederlande geht die Gründung eines Rechtshilfezentrums für EL zurück, das außerhalb der WTO angesiedelt ist und EL darin unterstützen soll, die Möglichkeiten der WTO-Prozeduren, wie des des Streitschlichtungsverfahrens, effektiv zu nutzen. Zudem ist es weiterhin unzureichend, wenn die WTO im Falle von Verurteilungen keine eigenständigen Sanktionsinstrumente besitzt, sondern lediglich dem Gewinner eines Streitschlichtungsverfahrens Vergeltungsmaßnahmen erlaubt. Damit kann es für EL selbst im Fall von gewonnenen Streitfällen schwierig werden, ihre Interessen effektiv durchzusetzen. Zahl und Art der Sitzungen und regelmäßigen Verhandlungen schließen jedoch immer noch partiell eine effektive Teilnahme von Entwicklungsländern am Verhandlungsfortschritt aus. Diese Defizite müssen zuerst beseitigt werden, bevor über eine weiterreichende Verhandlungsrunde gesprochen werden kann.

 
 
 

Das Kräfteverhältnis zwischen der WTO und internationalen Organisationen, die sich mit nachhaltiger Entwicklung, politischen und sozialen Menschenrechten beschäftigen, muß besser ausbalanciert werden. Problematisch ist zudem, daß die Kompetenzen und die Finanzausstattung derjenigen Institutionen im UN-System, die für Fragen der Ökologie oder der Menschenrechte zuständig sind, nicht zunehmen, während im Bereich der Wirtschaftspolitik substantielle qualitative Neuerungen erreicht werden konnten. Es ist diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklung, die dazu führt, daß die entstehenden Governance-Strukturen auf internationaler Ebene von der ökonomischen Rationalität dominiert werden, während andere Anliegen relativ gesehen geschwächt werden. Die WTO wurde außerhalb des UN-Systems angesiedelt und hat bislang nur mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds Kooperationsabkommen unterzeichnet. Die WTO sollte nicht nur mit den multilateralen Finanzorganisationen Kooperationsabkommen unterhalten, sondern in das System der Vereinten Nationen eingebunden werden. Ein erster Schritt wäre hierbei eine Einordnung der WTO in die Berichtspflichten des ECOSOC.

  1. Tempo herausnehmen

  2.  
  3. Existierende Ungleichgewichte beseitigen

  4.  
  5. Strukturreform der WTO ist notwendig

  6.  
  7. Verankerung der WTO im System der Vereinten Nationen

  8.  
  9. Keine Behandlungen des Investitionsthemas im Rahmen der WTO
Die meisten NRO im Norden wie im Süden sind der Auffassung, daß es im Rahmen der WTO zu keiner Verhandlung des Investitionsthemas kommen sollte. Die grundsätzliche Übertragung der WTO-Prinzipien auf das Investitionsthema muß zunächst sorgfältig geprüft werden. Dabei gilt, daß wir einer internationalen Regelung von Investitionen generell positiv gegenüberstehen. Die gemeinsame Forderung von NRO lautet aber, daß zur angemessenen Bearbeitung des Themas eine Konferenz auf der Ebene der Vereinten Nationen einberufen werden sollte, an der auch andere relevante internationale Organisationen teilnehmen sollten. Dort sollte zunächst grundsätzlich geprüft und verhandelt werden, wie eine zukünftige multilaterale Regulierung des Investitionsbereiches aussehen sollte. Für NRO gehört zu einer solchen Regulierung auch eine Klärung der Pflichten von Investoren (Verhaltensstandards), ein Gedanke der dem Kommissionspapier gänzlich fehlt.

Kommentar zu den Grundüberlegungen der EU für eine neue Verhandlungsrunde

Positive Aspekte und Leitlinien der Kritik

Zu Kap. I Einleitung

Zu Kap. II Für eine umfassende Verhandlungsrunde

Begrüßenswert im Papier der Kommission ist die häufige und substantielle Berücksichtigung der Stellung und der Interessen von Entwicklungsländern im Welthandelssystem. Die Offenheit für die Aufnahme einer "Entwicklungs-Agenda" in die Verhandlungen kann deshalb unterstützt werden. Ein erstes zentrales Problem beim EU-Ansatz liegt in dem Papier zugrundeliegenden entwicklungspolitischen Ansatz.Als Common sense Position verweist die Kommission darauf, daß vor allem die Entwicklungsländer von einer Integration in das Welthandelssystem profitiert haben und Entwicklungserfolge zu verzeichnen haben, die "sound macro economic policies" und eine "outward-oriented-strategy" verfolgen. Diese sicherlich zutreffende Beschreibung kann aber ein Problem, das das Papier selbst anspricht, nicht erklären: die Tatsache, daß Armut ein Problem bleibt, gerade auch in den Ländern, die sich erfolgreich integriert haben (diese Tatsache wird nicht berichtet). Offensichtlich helfen eine vernünftige makroökonomische Politik und eine Exportorientierung dem Wachstum des BSP, parallel sind in vielen EL aber wachsende Disparitäten in Einkommen und der Verteilung des Wohlstands festzustellen. Gerade an dieser Stelle ist aus unserer Sicht eine differenziertere Bewertung der entwicklungspolitischen Auswirkungen des WTO-Regimes und der exportorientierten Strategie notwendig, z.B. insofern, daß besonders negative Auswirkungen auf schwache oder benachteiligte Bevölkerungsgruppen analysiert werden müssen. Mit Blick auf die "remaining poverty" ist es entwicklungspolitisch wichtig, neu über positive wichtige staatliche Funktionen nachzudenken, die über die Garantie von Rechtsstaat und Rahmenbedingungen für das Funktionieren des Marktes hinausgehen. Probleme entstehen u.U. gerade da, wo internationale Handelsregeln entwicklungspolitisch notwendige Handlungsspielräume von Staaten begrenzen, z.B. bei Fragen der Ernährungssicherheit.

Ein großer Teil der EL konnte gleichzeitig kaum von einer Integration in die Weltwirtschaft profitieren. Die an sich richtigen Schlußfolgerungen, daß eine vernünftige Wirtschaftspolitik und eine Integration in die Weltwirtschaft für viele Länder wichtige Entwicklungsfortschritte darstellen, darf nicht dazu führen, daß eine qualitative Diskussion über Nebenfolgen, negative Auswirkungen und mögliche Steuerungsalternativen oder ergänzende Regeln quasi ideologisch verboten wird. Ein entwicklungspolitisches Assessment der Ergebnisse der Uruguay-Runde, unter Einbeziehungen der armutsrelevanten Auswirkungen ist deshalb aus unserer Sicht zuerst geboten, bevor eine substantielle Weiterentwicklung des WTO-Regelwerks in Angriff genommen wird.

Zwei grundsätzliche Ziele avisiert die EU für die kommende multilaterale Agenda:

  1. "tackling remaining obstacles to trade" (Bekämpfung verbleibender Handelshemmnisse) und
  2. "Stärkung der WTO-Regeln".

Beide Ziele sind aus entwicklungspolitischer Sicht unterstützenswert, allerdings kann die Zielsetzung doppelt interpretiert werden: Das Kommissionspapier thematisiert unter (1) vor allem Handelshemmnisse anderer Handelspartner. Aus unserer Sicht sollte es dagegen zunächst einmal um den Abbau der gravierenden Handelshemmnisse innerhalb der EU gegenüber Produkten aus Entwicklungsländern gehen. In einigen Bereichen des Papiers geht die Kommission zu Recht auf eigene dieser Hemmnisse ein (z.B. Zolleskalation). Dennoch werden wichtige Bereiche weitgehend ausgespart, u.a. der Agrarbereich. (2) Stärkung der WTO-Regeln kann vor allem als Liberalisierungimpuls gedeutet werden, es
könnte aber auch die Entwicklung balancierter Regeln für sinnvolle Liberalisierung und notwendige Ausnahmen gemeint sein. In verschiedenen Kapiteln des Papiers weist die Kommission zu Recht darauf hin, daß Spielräume nationaler Politik erhalten werden müssen (allerdings meist nur bei eigenen Interessen).

Im Kommissionspapier wird zugestanden, daß der Globalisierungsprozeßauch negative Auswirkungen haben kann und einige Länder bislang kaum davon profitieren konnten. Erneut erfolgt an dieser Stelle der Hinweis, daß dies zu größten Teilen an falscher nationaler Politik liegt. Erneut muß hier kommentiert werden, daß falsche nationale Politik sicherlich einen wichtigen Anteil hat, dennoch die Auswirkungen der Liberalisierung von Güter- und Kapitalmärkten zunächst sorgfältig abgeschätzt werden sollten, bevor der Prozeß weiterhin mit enormem Tempo vorangetrieben wird.

Als Herausforderung für die WTO bezeichnet die Kommission die Aufgabe, das multilaterale Handelssystem so weiter zu entwickeln, daß es hilft, die Globalisierung maximal für nachhaltige Entwicklung zuträglich zu machen. Entsprechend der weiter unten bereits entwickelten Kritik an der Verwendung des Begriffes "Nachhaltige Entwicklung" durch die Kommission sei hier noch einmal darauf hingewiesen, daß ein qualitativ substantieller Begriff nachhaltiger Entwicklung auf eine Nutzung von Ressourcen und Senken (Stoffströmen) abzielt, die den Grenzen der Ökosysteme Rechnung trägt. Fortgesetztes Wirtschaftswachstum, ohne eine parallel verlaufende Qualifizierung in diesem Sinn, ist nicht nachhaltig. Gerade dieses Spannungsfeld wird im Kommissionspapier nicht in den Blick genommen. Dadurch wird auch die häufige Referenz im Text zum Begriff nachhaltige Entwicklung entwertet bzw. partiell bedeutungslos. Der Begriff
könnte im Papier der Kommission ohne große inhaltliche Verluste einfach durch den Begriff "Entwicklung" ersetzt werden.

Die Kommission weist darauf hin, daß die Vorteile der Welthandelsordnung viel besser in der Öffentlichkeit verkauft werden müssen. Aus diesem Absatz spricht Sorge über wachsende öffentliche Widerstände gegenüber der von Seiten der Politik unter dem Schlagwort "Globalisierung" vorangetriebenen Ausbreitung des Neoliberalismus in der Bevölkerung. Statt einer Werbekampagne für die Vorteile, wäre eine sorgfältige und partizipative Auseinandersetzung mit den Anliegen der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft nötig. Zivilgesellschaftliche Gruppen präsentieren immer wieder Fälle möglicher negativer Auswirkungen. Diese sollten Ausgangspunkt für eine sorgfältige Überprüfung des bisher Erreichten genutzt werden.

Comprehensive Round und Negotiating Modalities

Wie in der Einleitung bereits benannt, ist das zentrale Anliegen der EU die Einsetzung einer umfassenden Verhandlungsrunde, deren Ergebnisse von den WTO-Mitgliedsländern nur als Gesamtpaket angenommen werden können (single undertaking). Dieser Ansatz soll es der EU erlauben, mögliche Verluste - vor allem im Agrarbereich befürchtet - durch Gewinne in anderen Bereichen zu kompensieren. Wir halten diese Begründung insgesamt für nicht überzeugend, auch wenn das verhandlungsstrategische Element verständlich ist. Teil der Ergebnisse der Uruguay-Runde war eine Agenda für weitergehende Verhandlungen (built-in-agenda), in Bereichen, in denen keine ausreichenden Ergebnisse ausgehandelt werden konnten bzw. weitere Verhandlungen als wünschenswert erschienen. Die built-in-agenda ist also Teil des "single undertaking" der Uruguay-Runde gewesen. Den mageren Zugeständnissen im Agrar- und Textilbereich durch die Industrieländer und die EU standen in der Uruguay-Runde substantielle Zugeständnisse der EL z.B. bei der Marktöffnung für Industriegüter, Dienstleistungen etc. gegenüber. Es kann deshalb keinen Sinn machen die ohnehin vorgesehene Agenda des Follow-up der Uruguay-Runde nun mit neuen Zugeständnissen von EL aufwiegen zu wollen, solange die - eigentlich zugestandenen - Ergebnisse im Textil- oder Agrarbereich nicht einmal vollständig umgesetzt sind.

Die beiden von der Kommission vorgetragenen Argumente dafür, daß die built-in-agenda nicht ausreicht, für die zukünftigen handelspolitischen Herausforderungen sind ebensowenig überzeugend. Im ersten Argument verweist die EU darauf, daß die built-in-agenda keine Zeitvorgabe hat. Diese könnte aber ohne Probleme in Seattle beschlossen werden (ohne eine neue Runde zu beginnen). Als zweites Argument trägt die Kommission vor, daß alle WTO-Mitglieder von neuen Disziplinen Gewinn haben sollen. Wenn die built-in-agenda aber Teil der Uruguay-Runde war, dann sind auch mögliche Verluste, die die EU dort erleiden wird, mit den Gewinnen aus der Uruguay-Runde gegenzurechnen. Alle Studien der OECD über Gewinne aus der Uruguay-Runde verweisen dementsprechend auch darauf, daß der größte Nettogewinn bei der EU feststellbar war.

Als drittes Argument verweist die EU darauf, daß neue Themen im Rahmen der "built-in-agenda" nicht thematisiert werden könnten, inklusive des Themas Handel und Umwelt, an dem NRO ja ein besonderes Interesse haben. Auch dieses Argument überzeugt nicht. Die Ministerkonferenzen der WTO erlauben es durchaus, zu neuen Themen neue Vorgehensweisen zu überlegen und mögliche Verhandlungen aufzunehmen. Allerdings wäre dann ein cross-sektoraler Aushandlungsprozeß nicht möglich - frei nach dem Motto: Ich gebe Dir was im Agrarbereich, dafür darf ich ein bißchen Umwelt in das Vertragswerk einbringen. Wir sind der Überzeugung, daß zentrale Zukunftsthemen der WTO, wie das Thema Handel und Umwelt, nicht einer "bargaining" Strategie unterliegen sollten, denn gerade dies führt zu Widerständen bei EL. Das Thema sollte selbständig, ohne neue Runde und ohne Druck auf EL behandelt werden. Zugeständnisse von EL sind wahrscheinlich nicht in einem "bargaining process" zu erhalten, sondern nur durch echte Transfers von Technologie und finanzieller Hilfe, damit die Länder ihre eigenen Produktionsstrukturen verbessern können. Gerade dies halten wir zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung für notwendig. Offen verhandelt, mit klaren finanziellen Zugeständnissen für EL, eine solche Strategie könnte im Hinblick auf die neuen Themen wie "Handel und Umwelt" wesentlich mehr erreichen.

Vier grundsätzliche Anliegen formuliert die Kommission als zentrale Anliegen der EU für die Millennium-Runde: Neben den bereits weiter oben im Text genannten zentralen Anliegen (a) weiterer substantieller Handelsliberalisierungen und (b) einer Stärkung des WTO-Systems möchte die Kommission (c) die entwicklungspolitische Rolle und Fähigkeit der WTO ausbauen. Gleichzeitig soll sich die WTO weiterhin mit Themen beschäftigen, die als Anliegen der breiteren Öffentlichkeit deutlich geworden sind, dazu gehören, Gesundheit, Umwelt und soziale Anliegen. In der Zusammenstellung der Zielformulierungen wird das generelle strategische Interesse der EU deutlich, sowohl eine breite Unterstützung aus Entwicklungsländern wie der kritischen Öffentlichkeit in der EU für eine neue Runde zu gewinnen, um dem eigentlichen Hauptziel, der Eröffnung einer umfassenden Runde, näher zu kommen. Wie substantiell die tatsächlichen Zugeständnisse sowohl für Entwicklungsländer, wie auch für die "neuen Themen" Gesundheit, Umwelt und soziale Anliegen zu bewerten sind, wird im Detail auf den folgenden Seiten deutlich. Generell kann es positiv bewertet werden, daß die EU damit wesentliche Anliegen aus der Zivilgesellschaft als wichtige Verhandlungspunkte aufnimmt, solange dies nicht nur aus strategischen Überlegungen erfolgt.

Positiv ist an dieser Stelle festzuhalten, daß die Kommission sich explizit für mögliche Ausnahmen bzw. eine differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer einsetzt (special and differential treatment - SDT). Unterstützenswert ist auch das Anliegen, die WTO sensibler für Entwicklungsfragen werden zu lassen. Aus unserer Sicht sollte aber deutlich gemacht werden, daß der WTO keine Kompetenzen übertragen werden sollten, die besser bei anderen spezialisierten UN-Töchtern aufgehoben wären. Im Verlauf des Textes schlägt die EU mehrfach vor, über die WTO verstärkt technische Hilfen für die Umsetzung der WTO-Abkommen an Entwicklungsländer zu vergeben. Für uns ginge jede Form technischer Hilfe (technical assistance) über das hinaus, was die WTO leisten sollte. Hierfür wäre es wesentlich sinnvoller, spezialisierte Organisationen wie UNCTAD oder UNDP zu beauftragen. Im Rahmen der WTO gibt es allerdings verschiedene Möglichkeiten, die Rolle der Entwicklungsländer zu stärken:

  • eine verbesserte Berücksichtigung der Anliegen von Entwicklungsländern bei den Verhandlungen,
  • eine Ermöglichung der Teilnahme an allen relevanten WTO-Treffen auch für ärmere Entwicklungsländer,
  • eine besondere Beratung für die Inanspruchnahme von WTO-Prozeduren, inklusive des Streitschlichtungsverfahren.

Dies sind die Bereiche, in denen der WTO eine originäre stärkere Rolle bei der Förderung von EL zukommen sollte.

Für ein multilaterales Handelssystem zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung

Sustainable Development: Feigenblatt oder ernst zu nehmendes verankertes Prinzip?

Im Vorschlag zum Verhandlungsmandat der EU haben die Begriffe des "sustainable development" und "sustainability" – eine große Bedeutung bzw. zumindest starke Erwähnung erfahren. Es scheint auf den ersten Blick so, als würde nun auch bei der EU-Kommission für die Themen des Welthandels und ihre Interessen für die Ministerkonferenz und eine neue Welthandelsrunde das Prinzip der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen. Nicht weniger als 15 mal wird die nachhaltige Entwicklung in dem Papier erwähnt, weitere drei Erwähnungen sind der Nachhaltigkeit im allgemeineren Kontext gewidmet. Unterzieht man diesen quantitativen Bedeutungszuwachs einer qualitativen Analyse, gibt es einige auffallende Punkte, die an der Ernsthaftigkeit der Nachhaltigkeit als Leitbild Zweifel aufkommen lassen. Zur Erinnerung: Das Prinzip der Nachhaltigkeit findet sich – nicht zuletzt auch durch den Druck der internationalen NGO – in der Präambel der WTO.

Umfassende neue Verhandlungsrunde:

Die stärkste Erwähnung der nachhaltigen Entwicklung findet sich in dem Kapitel, das für eine umfassende neue Verhandlungsrunde plädiert. Hier wird die Argumentation auf drei Kernlinien aufgebaut:

  1. Das internationale Handelssystem soll so weiterentwickelt werden, daß die maximalen Vorteile der Globalisierung für eine nachhaltige Entwicklung gesichert werden u. Handel u. Wachstum so gesteigert werden, daß sie dieser Entwicklung dienen.
  2. Für EL soll die Dimension von nachhaltiger Entwicklung bei Handelsregeln berücksichtigt werden, und zwar so, daß zukünftige Liberalisierung Anreize bietet, diese Dimension zu erreichen- den Bedarf für entsprechende nationale Politik in allen Ländern eingeschlossen. Nationale Regierungspolitiken sollen so gestaltet werden, daß Wachstum zu nachhaltiger Entwicklung führt.
  3. Stärkere Liberalisierung, unterstützt durch eine Politik, die soziale Umstände und nachhaltige Entwicklung verbessert, kann so umgesetzt werden, daß die Vorzüge der Globalisierung optimiert und negative Effekte abgeschwächt werden und Wohlfahrtszuwachs erreicht wird.

Weiterhin unterstreicht die Kommission in ihrem Papier, daß verschiedene Gipfeltreffen in Europa in der letzten Zeit dafür plädiert haben, Nachhaltigkeit in alle relevanten EU-Politikfelder einzubeziehen. Die Initiative der EU und übrigens auch einiger anderer Regierungen, Verträglichkeitsprüfung für nachhaltige Entwicklung der neuen WTO-Runde
durchzuführen, werden in dem Text als in Einklang mit der Verpflichtung in der Präambel der WTO bezeichnet. Es wird der Eindruck erweckt, daß dadurch dem Prinzip der Nachhaltigkeit und seiner Umsetzung Genüge getan ist.

Im Hauptteil des Mandatskonzeptes ist unter den Punkten 'Investitionen','Handel und Umwelt', 'Neue Runde und Entwicklung' sowie 'Arbeiten mit der Zivilgesellschaft' das Thema nachhaltige Entwicklung erwähnt.

Investitionen

Multilaterale Regeln für Investitionen sollen die richtigen Bedingungen dafür schaffen und zu nachhaltiger Entwicklung beitragen. Solch ein Regelwerk soll die Möglichkeit für die Gastländer, die Aktivitäten der Investoren zu regulieren, aufrechterhalten. Nachhaltige Entwicklung hat hier eine größere Bedeutung für EL, und die Kommission ist der Meinung, daß traditionelle Bestimmungen wie z.B. special and differential treatment dafür nicht länger ausreichen und die Dimension der nachhaltigen Entwicklung lieber in den Basisregeln verankert werden soll, die für alle gleich gelten.

Handel und Umwelt

Der Abschnitt beginnt damit, daß nachhaltige Entwicklung der zentrale Maßstab einer neuen Runde sein soll und fährt fort, daß Wirtschafts- und Umweltpolitik eine sich gegenseitig unterstützende Rolle für diese nachhaltige Entwicklung spielen sollten. Die Interessen aller Partner sollen bei der Agenda einer neuen Runde berücksichtigt werden, auch die der EL, und die Agenda soll nachhaltige Entwicklung fördern. Dies will die Kommission durch das Maximieren positiver Synergien von Liberalisierung – besonders Marktzugang, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung erreichen.

Neue Runde und Entwicklung

Hier soll die WTO gewährleisten, daß zukünftige Handelsliberalisierung nachhaltige Entwicklung fördert. Zum ersten Mal in dem Papier wird in einem recht isoliert dort stehenden Satz auf ein umfassenderes Modell nachhaltiger Entwicklung hingewiesen – laut Kopenhagener Erklärung für soziale Entwicklung und anderer UN-Dokumente. Zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sowie Umweltschutz bestehen Interdependenzen, die sich gegenseitig verstärkende Komponenten von nachhaltiger Entwicklung sind. Danach wendet sich das Dokument übergangslos der Förderung von regionalem Handel zu. An anderer Stelle wird dann noch mal Bezug genommen auf Kohärenz mit dem Ziel von nachhaltiger Entwicklung. Diese verbesserte Kohärenz soll es geben zwischen Handel, Geld und Finanzen, was dann zu Kohärenz mit nachhaltiger Entwicklung führen soll.

Auffällig ist in dem Papier, daß die nachhaltige Entwicklung bei all jenen Themen erwähnt wird, zu denen die internationale Zivilgesellschaft sich in den letzten Monaten in Form von Kampagnen oder Dialog mit den Regierungen zu Wort gemeldet hat und Kritik an der Form oder Art des Umgangs bzw. Verständnisses dieser Themen geübt hat. Es sind genau die Themen, die bei den Dialoggesprächen der DG 1 mit den europäischen NRO, die seit ca. einem Jahr alle zwei Monate stattfinden, auf der Agenda standen.

Beim Thema Investitionen sei an das Scheitern des MAI in der OECD erinnert, das auch auf den Druck durch die internationale Zivilgesellschaft zurückgeführt wird. Dadurch hat dieses Thema eine besondere 'Sensibilität' im Umgang durch die EU erfahren, und der nachhaltigen Entwicklung im Kontext von Investitionen ist sogar ein eigener Unterpunkt gewidmet worden. Sie wird von der Kommission verstanden als die Gleichbehandlung von EL und IL sowie die Möglichkeit, Investitionen von außen und aus dem eigenen Land gleichbehandelt zu regulieren. Gerade bei der Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung liegt aber das Problem für die Entwicklungsländer darin, daß sie ihre inländischen Investoren nicht gegenüber ausländischen schützen können. Gerade diese Gleichbehandlung ist eben nicht nachhaltig im Sinne einer Entwicklungsverträglichkeit.

Nachhaltige Entwicklung wird von der Kommission bei den verschiedenen Themen nie als Konzept betrachtet, sondern immer als Argumentationshilfe für weitere Liberalisierung. Dabei läßt die Argumentation in soweit zu wünschen übrig, daß an keiner Stelle eine einheitliche Definition gegeben wird, was unter dieser Entwicklung, die nachhaltig sein soll, verstanden wird. Ob nun Investitionen oder die positiven Errungenschaften der Globalisierung oder auch die Integration der EL in die Weltwirtschaft, alle sollen der nachhaltigen Entwicklung dienen. Wie dies geschehen soll, bleibt der freien Interpretation überlassen. Daß nachhaltige Entwicklung die notwendige Voraussetzung in Nord und Süd zur Sicherung der Lebensgrundlagen heutiger und zukünftiger Generationen ist, daß diese auf den Leitlinien der Konferenz von Rio '92 basieren, wird in dem Papier nicht deutlich. Die Umsetzung diese Prinzips verlangt von allen gesellschaftlichen Kräften – und besonders von der Politik inklusive der internationalen Wirtschaftspolitik - , ökonomisch effiziente und umwelt- und sozialverträgliche Modelle zu entwickeln. Diesem Ansatz wird der EU-Ansatz nicht gerecht.

Berücksichtigung der Zivilgesellschaft

Im Hinblick auf die Zivilgesellschaft betont die Kommission in ihrem Papier, daß es notwendig sei, sicherzustellen, daß deren Mehrheit die Verhandlungsanliegen der Kommission unterstützen müsse. Dazu werde es notwendig sein, viel intensiver die Gewinne der WTO-Verhandlungen öffentlich zu diskutieren und zu vermitteln. Während die Unternehmerverbände das Anliegen der EU nach einer umfassenden Runde weitgehend unterstützen, gibt es bei NRO, wie die Kommission richtig bemerkt hat, erhebliche Widerstände. Sie erwähnt, daß sie intensiv versucht habe, auf verschiedene Anliegen der Kritiker im vorliegenden Text einzugehen. Viele Anliegen werden in der Tat aufgenommen und adressiert, oft aber ohne die begründeten Vorbehalte der NRO abzubauen.

Positiv zu bewerten ist, daß die Kommission sich für regelmäßigere und strukturiertere Kontakte mit NRO im WTO-Umfeld einsetzen möchte, wie sie die letzten High-Level-Symposions geboten haben. Im Schlußsatz dieses Kapitels betont die EU-Kommission, daß sie in allen Verhandlungsbereichen eine Balance finden möchte zwischen den Interessen von Handelsliberalisierung und Verhinderung von Unilateralismus und legitimen Anliegen des Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzes. Dieses Grundbekenntnis ist vorbehaltlos zu unterstützen. Es enthält aber eine Grundannahme, der hier noch einmal ausdrücklich widersprochen werden soll, nämlich der, daß sich NRO vor allem für diese legitimen Schutzanliegen einsetzen würden, während die EU eher für Handelsliberalisierung stehe. An dieser Stelle erscheint der Hinweis wichtig, daß sich viele NRO mit der WTO aus entwicklungspolitischen Motiven auseinandersetzen. Die Kritik an der EU richtet sich hier besonders dagegen, daß sie selbst häufig zur Wahrung eigener Interessen zu protektionistischen, unilateralen Maßnahmen greift. Deutsche Nichtregierungsorganisationen stehen für eine Position, in der sie gerade nicht mehr Protektionismus fordern, sondern mehr Liberalisierung dort, wo der Protektionismus EL negativ betrifft. Gleichzeitig fordern sie dort legitimen Schutz ein, wo die sozialen, ökologischen oder entwicklungspolitischen Folgen einer Liberalisierung negativ oder noch nicht absehbar sind.

Der WTO-Vertrag sieht die Möglichkeit vor, nichtstaatliche Organisationen im Rahmen der WTO zu beteiligen. Bislang hat sich die WTO außerordentlich schwer damit getan, für diese Beteiligung einen adäquaten Rahmen zu finden. Es wäre durchaus möglich, das beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen bewährte Verfahren der NRO-Akkreditierung auf die WTO zu übertragen. Die bisherige Beteiligungspraxis der WTO ist dagegen durch Zufälligkeit geprägt. So werden NRO zu Ministerkonferenzen oder manchen Fachsymposien eingeladen. Einladungsmodus und Zugangsrechte sind aber bislang undurchsichtig und basieren nicht auf festen Verfahren. Die Erfahrungen mit dem Streitschlichtungsverfahren zeigt, daß es formaler Beteiligungsrechte für Vertreter bisher ungeschützter Interessen bedarf. Dies gilt sowohl für die Mitwirkungsrechte für NRO wie Menschenrechts- oder Umweltgruppen als auch für die Teilnahme von anderen multilateralen Organisationen wie der ILO oder betroffener multilateraler Umweltabkommen. Das EU-Papier enthält keine substantiellen Vorschläge, wie eine regelmäßige und effektive Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen aussehen könnte.Teil II: Detail-Kommentar der Kommissionsvorschläge für die einzelnen
Verhandlungsbereiche (Kap. III – VIII)

Zu Kap. III Specific Sectors and Issues
a) Landwirtschaft, b) Dienstleistungen, c) Investitionen, d)Wettbewerb, e)Handelserleichterungen, f) Zölle für Nicht-Agrarprodukte, g) Handel und Umwelt, h) TRIPS, i) Öffentliches Beschaffungswesen, j) Technische Handelshemmnisse, k) Gesundheitsschutz, l) Instrumente der Handelsbeschränkung, m) Neue Runde und Entwicklung, n) Handel und Kern-Arbeitsstandards

 
 
 

Nicht zufällig beginnt die Kommission das Kapitel über spezifische Sektoren mit dem Bereich der Landwirtschaftsverhandlungen, die für die EU die größten Risiken bergen. Die vorgesehenen Verhandlungsschwerpunkte sind defensiv und sehr zurückhaltend formuliert, da die EU hier kaum Spielräume hat. Intern hat die EU in der Debatte über die Agenda 2000 keine wirkliche Reform der EU-Agrarpolitik zu erreichen. Während die USA im neuen Landwirtschaftsgesetz alle agrarpolitischen Maßnahmen, die in der WTO bislang zur "blue-box" gezählt werden durch Maßnahmen ersetzt haben, die für die "green-box" qualifiziert sind, setzt die EU weiterhin auf "blue-box"-Maßnahmen in der Agrarpolitik, die zum Ende der Uruguay-Runde im Rahmen des Blair-House-Abkommens erlaubt worden waren. Die sogenannte "blue-box" nimmt nach Artikel 6.5 des AoA Direktzahlungen an Produzenten von der Abbaupflicht aus, wenn sie im Rahmen von produktionsbeschränkenden Maßnahmen enthalten sind. Damit wird sie in den anstehenden Verhandlungen (built-in-agenda) massiv unter Druck geraten, denn sie wird als letzter Akteur in der WTO dann "blue-box"-Maßnahmen verwenden. Wir befürworten die Beibehaltung und den Ausbau der "green-box" und fordern von der EU, dafür Sorge zu tragen, daß die möglichen negativen Auswirkungen der "blue-box"-Maßnahmen auf die lokalen Märkte der EL verhindert werden.

Drei Hauptschwerpunkte schlägt die Kommission als Verhandlungsansätze der EU vor. Zum ersten sollen die agrarpolitischen Maßnahmen, die im AoA (Agreement of Agriculture) enthalten sind und auf denen die EU-Agrarpolitik basiert, verteidigt werden, insbesondere die "blue-box". Zusätzlich soll die im Blair-House-Abkommen ausgehandelte "Friedensklausel" nach 2003 (solange gilt sie) verlängert werden. Die Friedensklausel verbietet es anderen WTO-Mitgliedern, handelspolitische Maßnahmen (z.B. Anti-Dumping-Maßnahmen) gegen WTO-Mitglieder zu verhängen, die sich an die Regeln des AoA halten. Dies betrifft gerade Entwicklungsländer. Das AoA erlaubt der EU und den USA z.B. weiterhin den Einsatz von Exportsubventionen. Entwicklungsländer können sich nun zur Abwehr möglicher schädigender Effekte solcher Exportsubventionen nicht angemessen mit handelspolitischen Maßnahmen - die die WTO ansonsten erlaubt - zur Wehr setzen. Darüber hinaus will die Kommission zusätzliche "special safeguard provisions" im Rahmen des AoA etablieren. Ein solches Vorhaben bedeutet, daß die EU im Agrarbereich neue Sicherheitsinstrumente zur Begrenzung von Agrarimporten durchsetzen möchte, wenn z.B. "Marktstörungen" vorliegen. Entgegen der sonst vorherrschenden Liberalisierungstendenz im Papier der EU, bleibt die EU-Position im Agrarbereich so protektionistisch wie immer. Einer Verlängerung der Friedensklausel und die Aufnahme neuer safeguard provisions kann entwicklungspolitisch nicht zugestimmt werden.

Der zweite Verhandlungsansatz im Agrarbereich ist offensiver ausgerichtet. Dort möchte die EU einerseits einen verbesserten Marktzugang auf Drittmärkten für die eigenen Agrarüberschüsse durchsetzen. Zum anderen sollen agrarpolitische Instrumente anderer Länder, die der Exportförderung dienen (Exportkredite, staatliche Marketingboards), in der WTO herausgefordert werden und in Zukunft gleich behandelt werden, wie die Instrumente der EU. Entwicklungspolitisch ist gegenüber der Thematisierung dieser anderen Formen der Exportförderung nichts einzuwenden, da auch diese marktverzerrende Auswirkungen auf Agrarmärkte in EL haben können. Einer verbesserten Marktöffnung in Entwicklungsländern wäre nur zuzustimmen, wenn dies reziprok auch für die EU gelten würde (also keine Friedensklausel und keine Ausdehnung der Geltung von special safeguards). Da die Kommission an mehreren Stellen des Papiers davon spricht, daß das Verhältnis von Rechten und Pflichten im WTO-Rahmen ausbalanciert sein sollte, ist dieser Ansatz um so unverständlicher.

Als dritter Verhandlungsansatz gilt der EU die Anerkennung der "multifunktionalen" Rolle, die der Landwirtschaft insgesamt zukommen soll. Hinter diesem Terminus des AoA verbirgt sich die richtige Erkenntnis, das die Landwirtschaft mehr leistet als nur die Produktion von Gütern. Landwirtschaft ist entscheidend mitverantwortlich für die Entwicklung und Erhaltung der Kulturlandschaft, die Grundwasserqualität etc. Eine Anerkennung der Multifunktionalität der Landwirtschaft in der WTO, würde es möglich machen, agrarpolitische Stützungsinstrumente zu verteidigen, die der Landwirtschaft gegeben werden, um diese vielfältigen Funktionen wahrnehmen zu können. Diesem Anliegen der Kommission stimmen wir zu. Die EU möchte neben der Multifunktionalität noch andere "non-trade-concerns", die der Artikel 20 des AoA zuläßt, präziser verhandeln, darunter Gesundheitsaspekte für Menschen, Tiere und Pflanzen, Nahrungsmittelsicherheit und -qualität, Umweltauswirkungen der Landwirtschaft und andere Verbraucheranliegen. Dieser Ansatz der EU ist unterstützenswert, da er Möglichkeiten bietet, eine ökologisch verantwortliche Agrarpolitik in der EU zu fördern.

Erneut ist dennoch festzuhalten, daß die EU wieder keine reziproke Vorstellung über die "non-trade-concerns" vorträgt. Von EL-Seite liegen Vorschläge vor, zu diesen "non-trade-concerns" auch Ernährungssicherheit zu zählen, d.h. Ländern das Recht zu gewähren, aus Gründen der Ernährungssicherheit in den Agraraußenhandel einzugreifen. Während die EU für sich das (unterstützungswürdige) Recht aushandeln möchte, z.B. aus Gründen des Verbraucherschutzes, hormonbehandeltes Fleisch an der Grenze abzuwehren, will sie den (ebenfalls sehr berechtigten) "non-trade-concerns" der EL nicht Rechnung tragen. Für uns ist eine Anerkennung von Ernährungssicherheit als "non-trade-concern" eine zentrale Forderung.

 
 
 

Im Gegensatz zum Agrarbereich verfolgt die EU-Kommission im Dienstleistungssektor sehr weitreichende Liberalisierungsziele. Eine umfassende und ambitiöse Agenda will die Kommission erreichen. Alle Länder sollen klare nationale Regulierungen im Bereich der Dienstleistungen einführen, so daß im Dienstleistungsbereich in allen WTO-Mitgliedsländern eine vorhersagbare nationale Regulierungsumwelt entsteht. Die Kommission möchte vor allem die Disziplinen des Artikel 6 des GATS-Abkommens (General Agreement on Trade and Services) stärken (domestic regulations). Dazu zählen die Schaffung von rechtlichen Instrumenten, Schiedsgerichten, eine Formulierung von Lizenzen und technischen Standards, die nicht zu Behinderungen im Handel führen, etc.. Parallel sollen alle Bereiche, die im Rahmen des GATS noch nicht endgültig geregelt wurden (z.B. e-commerce mit vielen offenen Fragen, wie Zugriffsrechte von Software-Herstellern auf die Rechner der Nutzer bei On-line-Updates etc.), in der neuen Runde verhandelt werden. Entsprechend dem im Artikel 19 (3) vorgesehenen Verfahren soll der Council for Trade in Services Verhandlungsrichtlinien für eine weitergehende Liberalisierung im Dienstleistungsbereich entwickeln.

Ein besonderes Anliegen der Kommission ist die bessere Einbeziehung von EL an das Dienstleistungsabkommen, denn je weitreichender diese in das GATS integriert wären, um so besser wäre dies für ihren Entwicklungserfolg, besonders wenn Marktbereiche wie Transport, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen den GATS-Disziplinen unterworfen würden. Damit drängt die EU genau in den Dienstleistungsbereichen auf eine weitergehende Liberalisierung, die von großem Interesse für Industrieländer sind. Die Dienstleistungsbereiche mit Interesse für EL, z.B. freie Bewegung von Arbeitskräften, werden nicht erwähnt. Das GATS erlaubt EL verschiedene Sonderregeln. Sie müssen weniger Sektoren liberalisieren, in einem Tempo, das ihrem Entwicklungsstand angepaßt ist, damit es z.B. nicht zur vollständigen Auflösung nationaler Banken oder Telekommunikationsfirmen kommt. All diese Sonderregeln werden im EU-Mandat nicht erwähnt.

Für weitere Liberalisierungsschritte im Dienstleistungsbereich ist keine neue Verhandlungsrunde notwendig, da das GATS ohnehin weitere Verhandlungen erlaubt. Diese sollten allerdings im Geiste des Abkommens geführt werden, d.h. EL die zugestandenen Sonderrechte auch zugestehen. EL müssen die Möglichkeit haben, Auswirkungen einer schnellen Marktöffnung im Dienstleistungsbereich sorgfältig abzuschätzen (z.B. bei Kapitalmärkten). Für den
Dienstleistungsbereich gilt deshalb besonders, daß zunächst eine sorgfältige Analyse der Auswirkungen des bisherigen Abkommens sinnvoll wäre, bevor überstürzt neue Maßnahmen ergriffen werden.

 
 
 

Nach dem Scheitern der Verhandlungen über ein Multilaterales Abkommen zu Investitionen (MAI) im Rahmen der OECD, will die EU-Kommission das Thema nun bei der WTO verankern. Sie ist sich dabei der Widerstände von Entwicklungsländern und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Nord und Süd gewiß, da sie die Argumente aus der Debatte über das MAI kennt. Zunächst ist festzustellen, daß die Kommission vielen Bedenken, die während der Debatte über das MAI vorgetragen wurden, Rechnung trägt und einen Umgang mit dem Investitionsthema vorschlägt, der sich substantiell von dem MAI-Vorschlag unterscheidet. Dennoch wenden wir uns in Übereinstimmung mit den meisten NRO im Norden wie im Süden, gegen eine Verhandlung des Themas im Rahmen der WTO. Die grundsätzliche Übertragung der WTO-Prinzipien auf das Investitionsthema muß zunächst sorgfältig geprüft werden. Dabei gilt, daß wir einer internationalen Regelung von Investitionen generell positiv gegenüberstehen. Die gemeinsame Forderung von NRO lautet aber, daß zur angemessenen Bearbeitung des Themas eine Konferenz auf der Ebene der Vereinten Nationen einberufen werden sollte, an der auch andere relevante internationale Organisationen teilnehmen sollten. Dort sollte zunächst grundsätzlich geprüft und verhandelt werden, wie eine zukünftige multilaterale Regulierung des Investitionsbereiches aussehen sollte. Für NRO gehört zu einer solchen Regulierung auch eine Klärung der Pflichten von Investoren (Verhaltensstandards), ein Gedanke, der dem Kommissionspapier gänzlich fehlt.

Der Vorschlag der Kommission enthält folgende substantielle Verbesserungen gegenüber dem MAI-Ansatz aus den letzten Jahren. Die Kommission will zunächst das Recht eines jeden Landes festschreiben, legitime Politikbereiche regeln zu dürfen, besonders um sicherzustellen, daß Investitionen und Wirtschaftswachstum auch tatsächlich zu nachhaltiger Entwicklung beitragen. Für Entwicklungsländer sollen special and differential treatment provisions vorgesehen werden. Als wichtigstes Beispiel erwähnt die EU hier selbst die Begrenzung des Zuflusses kurzfristiger, spekulativer Geldanlagen. Der Zugang von Investoren zu dem Gastland soll nicht mehr wie im MAI-Ansatz grundsätzlich liberalisiert werden und nur in Ausnahmebereichen begrenzt werden können, sondern hierfür soll das WTO-Prinzip des "bottom-up-approaches" gelten, d.h. ein Land muß lediglich einige Bereiche anbieten, in denen der Zugang liberalisiert werden wird. Generell hält die EU fest, daß die Art und Menge von Investitionsauflagen in vielen Ländern einer Überprüfung bedarf, weil viele Auflagen von Gastländern ungerechtfertigt seien, dennoch betont sie auch im eigenen Interesse, daß neue Regeln nicht die Fähigkeit von Gastländern begrenzen sollten, eine eigene Wirtschaftspolitik durchzuführen, vorausgesetzt die Regeln sind transparent und nicht-diskriminierend. Die Kritik vieler EL und von NRO an dem MAI hatte deutlich gemacht, daß ein grundsätzlicher Nicht-Diskriminierungsvorbehalt, wie ihn die Kommission fordert, nicht akzeptabel ist, da es in einigen Fällen durchaus Sinn machen kann, nationale Investoren zu begünstigen, oder Art und Umfang ausländischer Investoren besonderen Auflagen zu unterlegen (z.B. Exportauflagen für die Devisenbilanz).

Als Schlüsselbedingung für das Interesse von Investoren, sich langfristig in einem Land zu engagieren, sieht die EU ein transparentes und stabiles Wirtschaftsklima. Leider versäumt es die Kommission, an dieser Stelle den Beitrag der Investoren selbst zu einem stabilen und transparenten Klima zu erwähnen. Transparenz des Vorgehens, Beteiligung von und Diskussion mit Betroffenen von Investitionsentscheidungen, die Einhaltung international anerkannter Standards im Bereich der Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie im Umweltbereich sind Themen, die nicht erwähnt werden. Diese könnten auch kaum angemessen bei einer Integration des Themas in die WTO bearbeitet werden. Deshalb ist die WTO nicht das geeignete Forum für die Behandlung des Investitionsthemas.

 
 
 

Ausgehend von der Tatsache, daß es bislang kein multilaterales Abkommen zum Umgang mit handelsbehindernden Praktiken von Wirtschaftsakteuren selbst gibt, da die WTO-Regeln bislang auf Handelshemmnisse konzentriert sind, die durch Regierungshandeln verursacht werden, fordert die EU die Aufnahme der Behandlung des Wettbewerbsthemas in eine neue WTO-Runde. Durch die Konzentrationstendenzen in vielen Wirtschaftsbereichen bei gleichzeitig intensiverem grenzüberschreitendem Handel nehmen Wettbewerbsprobleme mit internationaler Dimension zu. Als zentrale Elemente einer solchen Regulierung sieht die EU-Kommission, die Verpflichtung für jedes WTO-Mitglied eine funktionierende nationale Wettbewerbsgesetzgebung einzuführen. Parallel soll auf internationaler Ebene ein gemeinsames Vorgehen gegenüber internationalen Kartellen etc. abgestimmt werden und Eingriffsschwellen festgelegt werden. Zusätzlich sollen Grundregeln einer internationalern Kooperation in diesem Politikbereich formuliert werden (bzgl. Informationsaustausch etc.), sowie die Befolgung der Wettbewerbsregeln dem WTO-Streitschlichtungsverfahren unterstellt werden.

Angesichts der wachsenden Marktmacht der großen Transnationalen Konzerne (TNK) ist der Vorstoß zur Entwicklung eines internationalen Wettbewerbsrechts unterstützenswert. Allerdings sind die Widerstände gegen die Behandlung dieses neuen Themas auf der WTO-Agenda bei einigen Entwicklungsländern noch hoch. Dies liegt zunächst daran, daß die meisten EL bislang kein Wettbewerbsrecht haben und sowohl gesetzgeberisch und institutionell sehr viel aufbauen müssen. Viele EL fürchten deshalb den Aufwand der Umsetzung eines solchen Ergebnisses, zumal sie oft noch nicht einmal die Ergebnisse der Uruguay-Runde national umgesetzt haben. Das Kommissions-Papier versucht, diese Bedenken ernst zu nehmen, und räumt gerade den administrativen Problemen der EL Platz ein. Sie sollen längere Übergangsfristen und eine Flexibilität der Anwendung erhalten. Zusätzlich soll ihnen technische Hilfestellung gegeben werden. Auch an dieser Stelle läßt der Text offen, welche Institution für die Gewährung technischer Hilfen zuständig sein soll. Aus unserer Sicht sollte diese Form der technischen Hilfe nicht bei der WTO angesiedelt werden, sondern bei den zuständigen internationalen Organisationen (z.B. UNCTAD). Zusätzliche Schwierigkeiten und Widerstände ergeben sich in den EL, in denen viele Unternehmen in Staatsbesitz sind, oder staatliche Vermarktungsagenturen Teile des Handels dominieren. Dies deutet darauf hin, daß die geforderte Flexibilität in den Regeln für EL ("flexibility in the rules") ernst genommen werden muß. Vieles spricht zudem dafür, EL für eine längere Übergangsphase aus dem Streitschlichtungsverfahren für Wettbewerbsfragen auszunehmen. Davon unabhängig sind aber internationale Regeln gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen von TNK notwendig, ein Thema das die EU nur nebenbei erwähnt. Die derzeitigen Absprachen zwischen den Kartellbehörden der Industrieländer reichen nicht aus, da sie im Falle der Wettbewerbsbeeinträchtigung durch TNK in EL keine Sanktionsmöglichkeiten vorsehen. In Branchen wie der Saatgut- und Pestizidproduktion stellen die existierenden oligopolitischen Märkte eine potentielle Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit dar. Die EU sollte also nicht nur nach nationalen Wettbewerbsbehörden rufen, sondern sich für eine sanktionsfähige internationale Wettbewerbsordnung stark machen.

 
 
 

Unter dem Stichwort "Handelserleichterungen" plädiert die Kommission dafür, in einer neuen Runde über ein substantielle Vereinfachung der administrativen Abwicklungsprozeduren beim grenzüberschreitenden Handel zu verhandeln. Eine solche Erleichterung könnte sicherlich auch kleineren und mittleren Unternehmen aus EL beim Export helfen. Allerdings wird jeder Beschluß in diese Richtung zusätzliche und hohe administrative Anforderungen bei einer Umstellung der Außenhandelsprozeduren für die WTO-Mitglieder erzeugen. Dies wird - wie bei der Wettbewerbspolitik - viele EL vor größere Kapazitätsprobleme stellen. Übergangsfristen werden für EL deshalb von Bedeutung sein. Technische Hilfen werden im Papier der Kommission zwar erwähnt, erneut wird aber kein Vorschlag unterbreitet, welche Institution diese technischen Hilfen geben soll und vor allem woher das Geld für diese Hilfen kommen soll.

 
 
 

Zu Recht weist die Kommission in diesem Absatz darauf hin, daß es insgesamt noch große Differenzen in der Zollstruktur vieler WTO-Mitglieder gibt, hinsichtlich der gebundenen Zölle, der Differenz zwischen Bindung und tatsächlicher Umsetzung, aber auch hinsichtlich noch vorhandener Hochzollsätze und mit der Verarbeitungsstufe steigender Zollbelastungen. Besonders die Hochzollsätze und die Zolleskalation betreffen in der Regel insbesondere Produkte, die ärmere EL exportieren (erste Verarbeitungsstufen von Rohstoffen). Die Absicht der Kommission solche Hindernisse abzubauen ist zu unterstützen, zumal sie in die Verhandlungen auch nicht-tarifäre Hemmnisse mit einbeziehen will.

Nicht zu unterstützen ist in der vorliegenden Form ein Vorschlag, den die Kommission vorlegt, gerade um besonders den Anliegen von Entwicklungsländern entgegen zu kommen. Die Kommission schlägt einen Mechanismus zur Zollreduzierung vor, in dessen Rahmen unterschiedliche Zollbänder festgelegt werden sollen, in denen alle Zölle liegen sollten und in dem nach Entwicklungsstand differenziert werden könnte. Dieser könnte mit der Festlegung der Reduktion von Zöllen nach gewichteten Durchschnittszöllen kombiniert werden. Grundsätzlich ist eine Berechnung bzw. Reduktion von Importzöllen nach gewichteten Durchschnittszöllen zu befürworten, da sie den EL Flexibilität für eine Differenzierung der Zollsätze für Produktgruppen gibt. Eine solche Berechnung und Fixierung in Zollbändern wäre allerdings so lange unfair, wie der Bereich mit den höchsten Zöllen in der EU, der Agrarsektor, ausgenommen wird, da ansonsten die EU nur die Bereiche in die Berechnung einbringt, in denen sie niedrigere Zölle hat, während EL gerade im industriellen Bereich oft höhere Zölle als im Agrarbereich haben. Generell gilt natürlich, das eine Vereinfachung der Zollstrukturen auch für Entwicklungsländer (beim Im- wie Export) von Vorteil ist.

Zu Recht weist die Kommission darauf hin, daß mit weiter abnehmenden Zöllen, die Zollpräferenzen - wie sie im Rahmen des GSP und der Lomé-Verträge gewährt werden an Bedeutung verlieren. Zuzustimmen ist dabei der Schlußfolgerung, daß dem durch Ausdehnung der GSP-Reichweite entgegengewirkt werden könnte. Dies wird allerdings nur bedingt helfen, da die Präferenzerosion parallel sehr viele Produktbereiche betrifft (Eine Ausweitung wäre vor allem im Agrarbereich möglich!). Zu unterstützen ist die Forderungen der Kommission auch weiterhin nicht-reziproke Handelszugeständnisse an EL machen zu können. Die Kommission erwähnt selbst, daß die Auswirkungen der Präferenzerosion auf die Partnerländer dringend untersucht werden müssen, einer Forderung der wir uns sofort anschließen.

Auf den ersten Blick als sehr erfreulich liest sich der Vorschlag der Kommission, daß alle Industrieländer zollfreien Zugang für Produkte aus den am wenigsten entwickelten Ländern (LLDC) gewähren sollen. Dies ist eine Forderung, die an Industrieländer schon auf dem High-Level-Symposion on LLDC der WTO 1998 gestellt wurde. Eine Zusage lag von mehreren Industrieländer bereits vor. Der Kommissionsvorschlag hat aber eine entscheidende Beschränkung, die als großer entwicklungspolitischer Rückschlag bewertet werden muß; denn der zollfreie Zugang soll nur "essentially all products" umfassen. Damit ist schon im Ausgangstext eine Einschränkung enthalten, die als eine Art Sicherheitsklausel (z.B. für Leder oder Schuhe) mißbraucht werden kann. Da sich dieses Kapitel generell nur auf Nicht-Agrarprodukte bezieht, bedeutet dies insgesamt, daß für viele, gerade für LLDC wichtige Produkte, auch in Zukunft kein freier Marktzugang bestehen wird, angesichts der Liberalisierungsrhethorik des gesamten Papiers ein trauriges Ergebnis. Wir fordern die EU deshalb auf, das Wort "essentially" zu streichen und den Vorschlag nicht nur zu Beginn der Verhandlungsrunde vorzulegen, sondern ein in diesem Sinne verbessertes APS (allgemeines Präferenzsystem) bereits im Jahr 2000 in Kraft treten zu lassen.

  1. Landwirtschaft

  2.  
  3. Dienstleistungen

  4.  
  5. Investitionen

  6.  
  7. Wettbewerb

  8.  
  9. Handelserleichterungen (Trade Facilitation)

  10.  
  11. Zölle für Nicht-Agrarprodukte (Tariffs on Non-Agricultural Products)

  12.  
  13. Handel und Umwelt

Im Bereich Handel und Umwelt greift die Kommission verschiedene Forderungen auf, die von NRO-Seite seit Jahren aufgestellt werden. Der Text bleibt dennoch in den zentralen Formulierungen sehr an der Oberfläche. Der Zielsetzung, daß Handelspolitik und Umweltpolitiken sich gegenseitig unterstützen und so nachhaltige Entwicklung fördern sollen, kann nicht widersprochen werden, allerdings geht der Kommissionstext kaum auf mögliche Probleme in den Beziehungen ein. Entsprechend wird zuerst gefordert, daß die positiven Synergien zwischen Umweltpolitik und offenen Märkten (z.B. Verbreitung umweltfreundlicher Produktionsmethoden) verstärkt genutzt werden sollen. Positiv zu bewerten ist es, daß die Kommission sich eindeutig dafür ausspricht, daß Handelspolitik die Möglichkeit auf nationaler Ebene umweltpolitische Maßnahmen zu ergreifen, nicht übermäßig beschränken sollte und daß mögliche Konflikte zwischen den beiden Regimen frühzeitig vermieden werden sollten.

Drei Schwerpunktthemen formuliert die Kommission für den Bereich Handel und Umwelt:

  • Das Verhältnis zwischen WTO-Disziplinen und Verpflichtungen aus dem Bereich Multilateraler Umweltabkommen (MEA) muß geklärt werden. Die Kommission hält zudem MEA für die beste Art, internationalen Umweltschutz voranzubringen.
  • Zukünftige Verhandlungen sollen eine Klärung des Verhältnisses zwischen WTO-Regeln und Anforderungen an Produktions- und Verarbeitungsmethoden (PPM) leisten sowie besonders zur Entwicklung WTO-kompatibler "Ökosiegel"- Anwendungen (eco-labelling schemes) beitragen. Gerade in "eco-labelling schemes" sieht die Kommission ein wichtiges, nichtprotektionistisches Instrument zur Berücksichtigung von ökologischen Auswirkungen in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die den Verbrauchern Auswahl ermöglichen.
  • Als drittes will die Kommission eine Klärung des Verhältnisses von Handelsregeln und zentralen Prinzipien des Umweltschutzes erreichen, wie das Vorsorgeprinzip.

Allen drei Anliegen ist aus unserer Sicht zuzustimmen. Eine Abstimmung über das Verhältnis zwischen MEA und WTO-Regeln scheint nach den letzten Diskussionen im Committee on Trade and Environment auch erreichbar. Dennoch sind mögliche Konflikte durchaus denkbar zwischen unterschiedlichen Verpflichtungen, die Staaten in verschiedenen internationalen Regimen oder Verträgen übernehmen. Die Regeln zum Schutz geistigen Eigentums bei Lebewesen oder Tier- und Pflanzenarten, die die Convention on Biodiversity (CBD) enthält, die nach der Konferenz von Rio entwickelt wurde, stehen bislang in Widerspruch zum Anliegen der Industrieländer, im Rahmen der TRIPS-Verhandlungen einen möglichst patentähnlichen Schutz hierfür zu entwickeln. Andere Konflikte sind denkbar. Auf Internationaler Ebene müßte deshalb verbindlich bestätigt werden, daß Politikziele, wie nachhaltige Entwicklung oder der Schutz der Menschenrechte, weiterreichende Qualität besitzen.

Dringend geboten ist eine Berücksichtigung von PPM (Production and processing methods / Verarbeitungs- und Herstellungsmethoden) in das Regelwerk der WTO, denn Umweltpolitik muß sich mehr und mehr nicht nur mit den Umweltauswirkungen eines Produkts selbst, sondern auch mit seiner Herstellungs- und Verarbeitungsweise (von der Wiege bis zur Bahre) auseinandersetzen. Holz ist nicht gleich Holz und bei der Herstellung von Textilien können sowohl ökologisch wie sozial weite Unterschiede zwischen Herstellern bestehen. Dieses Thema wird sicherlich das schwierigste aller Themen im Bereich Handel und Umwelt sein, da hier die Angst der EL sehr groß ist, daß aufgrund von PPM neue ökologische Handelshemmnisse aufgebaut werden könnten. Soll jedoch langfristig im Umweltschutz eine Kosteninternalisierung möglich werden, muß das Welthandelsregime eine Berücksichtigung des PPM-Themas finden, die es Ländern erlaubt in der nationalen Politik auf Kosteninternalisierung zu setzen und dies handelspolitisch abzusichern, ohne daß dies zu einer neuen Welle des Protektionismus führt. Leider greift das Papier der Kommission diese Fragestellung nur sehr vorsichtig auf und bezieht sich vor allem auf freiwilliges Labelling. Diese Vorsicht mag verhandlungsstrategisch motiviert sein, dem Anliegen, Handel und Umwelt "mutually supportive" zu machen, dient sie nicht.

Dies verweist auf die generell problematische Verwendung des Begriffs nachhaltiger Entwicklung im Papier der Kommission. Die eigentliche Herausforderung nachhaltiger Entwicklung liegt gerade darin, Produktions- und Konsumstrukturen im weltweiten Maßstab umzugestalten, um die großen globalen Umweltprobleme angemessen behandeln zu können. Diese zentrale Problematik wird im Papier immer vermieden, indem einfach behauptet wird, daß Freihandel plus nationale Umweltpolitik ausreichen, um das Ziel zu erreichen. Die Aufgabe, Produktions- und Konsumstrukturen zu verändern, macht es aber gerade erforderlich, z.B. Anreize für Hersteller zu geben, die umweltfreundliche Produktionsverfahren verwenden. Die Diskussion über die Frage, wie solche Politikmaßnahmen in Zukunft möglich werden sollen, ohne als handelshemmend interpretiert zu werden, bzw. zu überprüfen, wie sie "designed" werden können damit sie möglichst wenig handelsverzerrend sind, sind Aufgaben, die im Welthandelsregime geleistet werden müssen.

Zu unterstützen ist das Anliegen der Kommission, zentrale Prinzipien des Umweltschutzes in das WTO-Regelwerk zu integrieren, besonders das Vorsorgeprinzip. Das Vorsorgeprinzip erkennt an, daß Maßnahmen zum Schutz der Umwelt auch ergriffen werden können, wenn noch Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis vorhanden sind, wenn viele Indizien für diese Maßnahmen sprechen. Verschiedene Teile des WTO-Regelwerks (TBT und SPS-Abkommen, s.u.), gerade solche, die sich mit Standards befassen, sehen immer noch einen exakten wissenschaftlichen Nachweis als Grundlage eines Standards an, d.h. ohne einen solchen harten Nachweis, dürfen Schutzmaßnahmen nicht oder nur sehr eingeschränkt ergriffen werden. Der Vorschlag der Kommission sollte deshalb durch eine weiteren Vorschlag ergänzt werden, der von NRO seit längerem vorgebracht wird. Eine Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips würde es sinnvoll erscheinen lassen, im Streitschlichtungsverfahren bei entsprechenden Fällen eine Beweislastumkehr einzuführen, d.h. daß ein Land nicht den wissenschaftlichen Nachweis zur Begründung eines Standards führen muß, sondern umgekehrt die klagende Nation den Nachweis erbringen muß, daß die Maßnahme umwelt- oder gesundheitspolitisch unbegründet ist. Allerdings wäre einer Beweislastumkehr nur zuzustimmen, wenn besonders ärmeren EL dafür technische und finanzielle Hilfestellung gewährt würde, da diesen Ländern sonst der Zugang zum Streitschlichtungsverfahren substantiell erschwert würde.

Neben diesen positiven Ansätzen im EU-Ansatz ist leider anzumerken, daß wichtige Themen der Debatte über Handel und Umwelt von der Kommission in ihrem Papier gar nicht angesprochen werden. Auch werden notwendige oder mögliche sinnvolle Verknüpfungen zu anderen Punkten des EU-Ansatzes nicht hergestellt. Dadurch werden wichtige Chancen vertan. Zum einen wird die Möglichkeit, Umwelt und Entwicklung als Querschnittsaufgabe in die neue Runde einzubringen, nicht genutzt. Zum anderen wird die Gelegenheit verschenkt, gerade bei EL für die Aufnahme des Themas in eine mögliche Verhandlungsrunde zu werben, wenn z.B. die Frage der Umweltauswirkungen von Zolleskalation oder Agrarsubventionen in Industrieländern nicht gestellt wird. Gleichwohl ist auch bei den vorgeschlagenen Liberalisierungsmaßnahmen für nicht-agrarische Produkte zu fordern, daß überprüft wird, ob der angestrebte Abbau von Zöllen und Subventionen negative Auswirkungen auf die Umwelt haben kann. Diese Gefahr ist besonders hinsichtlich des Zollabbaus für Forst-Produkte, Energietechnik und Chemikalien gegeben und sollte durch begleitende Maßnahmen behoben werden. Wir sehen sechs weitere Bereiche, die dringend in Verhandlungen zum Thema Handel und Umwelt mit aufgenommen werden müßten:

  • Regelungen zur Begrenzung des Einsatzes umweltschädigender Subventionen (inklusive der Agrarsubventionen);
  • Eine genaue Untersuchung über ökologische Auswirkungen der Marktöffnung für verschiedene agrarische wie nicht-agrarische Produktgruppen. Sollte diese Untersuchung ergeben, daß z.B. der Abbau von Zöllen und Subventionen negative Auswirkungen auf die Umwelt hat, so sind geeignete Maßnahmen zur Vermeidung dieser schädlichen Umweltauswirkungen zu ergreifen;
  • Würde eine Forderung zu "Öffentliches Beschaffungswesen" (im Sinne des nachfolgenden TAED-Vorschlages) aufnehmen, allerdings auch ergänzt um das von der EU geplante Abkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen: Government procurement rules – as reflected in the current WTO plurilateral agreement – must be revised so that governments retain the right to bolster markets for environmentally friendly products through green procurement;
  • Ein Abkommen über einen sinnvollen Umgang mit technischen Regulierungen, Verpackungsvorschriften etc. mit der Absicht, ökologisch sinnvolle Regelungen zuzulassen und gleichzeitig protektionistischen Mißbrauch auszuschließen;
  • Eine Überprüfung der oben bereits genannten möglichen Konflikte zwischen der Convention on Biological Diversity und dem Art. 27, 3 (b) des TRIPS-Abkommen (wurde von Malaysia bereits in der CTE – Commission on Trade and Environment der WTO - angeregt);
  • Ein Abkommen zur Begrenzung des Exports von im Heimatland verbotenen Gütern.

Im Papier der Kommission ist vorgesehen, daß für die weitere Behandlung des Themas die Aufgaben des CTE erweitert werden sollen, sowie ein stärkere Kooperation der WTO mit anderen befaßten internationalen Organisationen angestrebt werden soll. Interessant und unverständlich ist die Reihung der Organisationen im Kommissionspapier, da zuerst die Weltbank (WB) und der Währungsfonds vor UNEP und den MEA-Sekretariaten genannt werden. Wir sind der Ansicht, daß die EU statt einer solchen losen Kooperationsabsicht das Ziel in die Verhandlungen aufnehmen sollte, daß die WTO formelle Kooperationsabkommen mit den entsprechenden Umweltorganisationen abschließt, so wie dies mit der WB und dem IWF bereits geschehen ist.

TRIPS (geistige Eigentumsrechte)

Das Kommissionspapier beginnt mit einem großen Lob für das TRIPS-Abkommen und drängt darauf, daß die ohnehin stattfindenden Verhandlungen über TRIPS (im Rahmen der built-in-Agenda) mit in eine neue Runde aufgenommen werden und dort so geführt werden sollen, daß erreichte Standards nicht abgesenkt werden. Zusätzlich möchte die Kommission, daß im Rahmen der TRIPS-Verhandlungen andere, inzwischen in Kraft getretene internationale Abkommen mit Relevanz für das TRIPS-Thema berücksichtigt werden, darunter die Verschärfung des Sortenschutzabkommens UPOV von 1998. Während dies das generelle Anliegen der Kommission erkennen läßt, dem Schutz geistiger Eigentumsrechte in der WTO mehr Biß zu verleihen, ist positiv festzuhalten, daß auch die Biodiversitätskonvention als neues internationales Referenzabkommen Erwähnung findet.

Eine große Zahl nationaler und internationaler NRO fordern, im Rahmen des TRIPS-Abkommens keine Patentierung von Lebewesen oder Teilen von diesen zuzulassen. Der Artikel 27.3 (b) sollte so interpretiert werden, daß die Anliegen der CBD berücksichtigt werden und die Erzeuger oder Hüter von Artenvielfalt in EL (Bauern, indigene Gemeinschaften, nationale Forschungsinstitute etc.) an allen Profiten der Nutzung dieser Vielfalt adäquat beteiligt werden. Diese Forderung wird inzwischen auch von den afrikanischen Staaten unterstützt. Insgesamt ist für die Behandlung des TRIPS-Themas keine neue Runde notwendig. Vor jeder Weiterentwicklung des TRIPS-Abkommens muß zunächst eine sorgfältige Abschätzung der entwicklungspolitischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen des Abkommens erfolgen. Angesicht unabsehbarer Langzeitwirkungen gilt gerade für den TRIPS-Bereich, daß mehr Zeit zur weiteren Untersuchung notwendig ist, bevor das Abkommen weiterentwickelt werden kann.

Öffentliches Beschaffungswesen (Government Procurement)

Angesichts der ökonomischen Bedeutung von staatlichen Aufträgen (ca. 15 % des BSP in den IL) möchte die Kommission das öffentliche Beschaffungswesen unter WTO-Regeln bringen. Transparenz und graduelle Marktöffnung in absehbaren Schritten sind die Ziele der EU. Entwicklungspolitisch kann ein transparenter öffentlicher Beschaffungsmarkt positiv bewertet werden. Zum Thema Transparenz könnten bereits in Seattle Fortschritte bzw. eine gemeinsame Erklärung erreicht werden. Für das zweite müßte die Aufnahme von Verhandlungen beschlossen werden. Entwicklungspolitisch kann ein transparenter öffentlicher Beschaffungsmarkt positiv bewertet werden. In einem Abkommen über öffentliches Beschaffungswesen sollten Regeln über die Vermeidung von Korruption enthalten sein. Vor Aufnahme neuer Verhandlungen in diesem Bereich sollte allerdings geprüft werden, inwieweit special and differential treatment (spezielle und bevorzugte Behandlung der Entwicklungsländer) Regeln für EL notwendig sein könnten. In einzelnen Fällen können auch die diskriminierende Bevorzugung nationaler Anbieter bei Regierungsaufträgen sowie "local content"-Klauseln entwicklungspolitisch sinnvoll sein.

Technische Handelshemmnisse (Technical barriers to trade, TBT)

Technische Handelshemmnisse hatten sich in den 80er Jahren parallel zum Abbau der Zollbelastung zu einem zentralen Instrumentarium des Protektionismus entwickelt. Im TBT-Agreement wurden deshalb im Rahmen der Uruguay-Runde neue striktere Standards für technische Regulierungen, Standards und Überprüfungsprozeduren formuliert. Das bisher Erreichte geht der Kommission aber nicht weit genug. Im Rahmen der geplanten Verhandlungsrunde sollten im TBT-Bereich die bestehenden Bestimmungen gestärkt werden und auf mehr Kooperation zwischen Staaten gesetzt werden, mit dem Ziel bessere Richtlinien für die Regulierungspraxis zu entwickeln. EL soll für diesen Bereich besonders technische Hilfe zur Verfügung gestellt werden, um die Implementierung des TBT-Abkommens schneller umzusetzen. Wer die Hilfe leisten und woher das Geld kommen soll, bleibt einmal mehr im Kommissionspapier offen. Generell sind wir der Auffassung, daß der sehr komplexe Bereich der TBT zunächst einer sorgfältigen Analyse hinsichtlich entwicklungspolitischer, sozialer und umweltpolitischer Auswirkungen unterzogen werden sollte, bevor neue und weitreichende Liberalisierungsschritte beschlossen werden.

Die EU-Kommission sieht selbst die Notwendigkeit, zu einer weiteren Vereinheitlichung und Verbesserung der existierenden Standards und der Normenarbeit zu kommen. Sie schlägt für zukünftige Regeln eine stärkere Bezugnahme auf internationale Standards vor. Die leitenden Prinzipien für die Qualität der Standardsetzung in internationalen Gremien sind nach Kommissions-Ansatz Transparenz, Balance der Interessen, Unparteilichkeit und Rechenschafts-pflicht. Diesem Prinzipienset für Standardisierungsorganisationen ist grundsätzlich zuzustimmen (ebenso den Vorschlägen für eine Vereinheitlichung von Akkreditierungsverfahren), besonders da längst nicht in all diesen Organisationen von einer Balance der vertretenen Interessen gesprochen werden kann. Unternehmerinteressen sind in der Regel deutlich besser vertreten, als Verbraucherorganisationen oder Umwelt-NRO. Ebenfalls zuzustimmen ist dem Anliegen der EU, Gesundheit, Verbraucherschutz und Umweltfragen stärker als bisher im Abkommen zu berücksichtigen. Dieses Anliegen wird allerdings durch die Formulierungen im Kommissionspapier weitgehend entwertet. Die Kommission merkt an, daß immer eine richtige Balance zwischen einer schnellen und angemessenen Reaktion und unberechtigten Vorsorgemaßnahmen getroffen werden muß, eine Formulierung, die im WTO-Kontext eher sehr restriktiv (im Hinblick auf erlaubte Aktionen) ausgelegt werden dürfte. Im Rahmen des TBT-Abkommens möchte die EU multilaterale Richtlinien für das Labelling entwickeln. Diese Forderung nach der Entwicklung von einheitlichen Richtlinien für das Labelling von Produkten ist entwicklungspolitisch zu unterstützen. Diese Neuentwicklungen und Vereinfachungen bei Labelling-Richtlinien und der Anerkennung von Akkreditierungsorganisationen werden allerdings erneut die Verwaltungen oder private Akteure in EL kurzfristig mit hoher Arbeitslast belasten. Zu prüfen wäre, ob durch einheitliche Richtlinien für das Labelling nicht Spielräume kreativer Akteure (Fair-Trade-Organisationen etc.) möglicherweise zu stark begrenzt werden.

Gesundheitsschutz (Consumer Health)

Die EU-Kommission beschreibt das Grundprinzip des Abkommens über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen, das jedem Staat das Recht einräumt, zum Schutze der Verbraucher entsprechende gesundheitliche Schutzmaßnahmen zu treffen, vorausgesetzt daß die Maßnahmen auf internationalen Standards oder gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis (sound scientific evidence) beruhen. Sollte eine genaue wissenschaftliche Erkenntnis noch nicht verfügbar sein, erlaubt Art. 5.7 des SPS-Abkommens, das Ergreifen vorläufiger Maßnahmen auf der Basis des Vorsorgeprinzips. Diese Maßnahmen müssen auf der Grundlage verfügbarer und angemessener Informationen ergriffen werden. Angesichts der Schwierigkeiten, die die EU hat, im Streitfall des EU-Importverbots gegen mit Rinderwachstumshormonen erzeugtes Rindfleisch aus den USA, die genaue wissenschaftliche Er-kenntnis (sound scientific evidence) nachzuweisen, ist es nicht erstaunlich, daß die Kommission drei Vorschläge zur Stärkung des Abkommens macht, die alle von uns unterstützt werden. NRO hatten seit langem auf die Problematik eines "sound scientific evidence"-Nachweises hingewiesen, da aus der Grenzwertdiskussion in der Umweltpolitik bekannt ist, daß bei vielen Umweltproblemen kein hundertprozentiger Nachweis getroffen werden kann, oder dies erst Jahre später gelingt, d.h. das Vorsorgeprinzip tatsächlich im Verdachtsfalle auch ohne hundertprozentigen Nachweis gerechtfertigt und sein Einsatz notwendig sein kann.

Die Kommission schlägt als erste Verbesserung vor, verstärkt internationale Standards im Abkommen zu verwenden und deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Internationale Standards sollen hervorragend sein sowie unabhängig und transparent festgesetzt werden. Diese Forderung unterstützen wir besonders, da die bislang verwendeten Standards im SPS-Abkommen, z.B. die der Codex-Alimentarius Kommission kaum diesen drei Kriterien entsprechen. Dies gilt besonders für den zweiten Verbesserungsvorschlag der Kommission. Bei der Erstellung und der Beschlußfassung über internationale Standards im Ernährungsbereich soll sichergestellt sein, daß interessierte gesellschaftliche Gruppen, besonders Verbraucherverbände, angemessen beteiligt werden, auch dies ein Kriterium, dem die bisherige Standardsetzung kaum genügt. Als Drittes schlägt die Kommission vor, die Anwendung des Vorsorgeprinzips im Bereich der Sicherheit von Nahrungsmitteln klarer zu fassen und sie zu stärken. Alle drei Vorschläge sind aus unserer Sicht dringend zu unterstützen. Sie sollten allerdings auf alle Bereich der Standardsetzung innerhalb der WTO ausgedehnt werden, d.h. auch den Bereich der Technischen Handelshemmnisse (TBT / Technical Barriers to Trade-Abkommen).

Instrumente der Handelsbeschränkung (Trade Defence Instruments)

Im Bereich der Trade Defence Instruments gibt sich die Kommission offen für Veränderungen und Verbesserungen, besonders solchen, die von Entwicklungsländern kommen. Drei Arten von Regelungen der WTO-Abkommen werden von der Kommission unter der Überschrift der Trade Defence Instruments zusammengefaßt. Ersten die Anti-Dumping-Maßnahmen, in deren Rahmen ein Land mit handelspolitischen Maßnahmen gegen Dumping von privaten Akteuren vorgehen kann. Anti-Dumping-Maßnahmen sind in den letzten Jahren von Industrieländern in dem Maße verstärkt genutzt worden, wie andere Handelsmaßnahmen durch die WTO-Mandatsausdehnung und die strengeren Disziplinen, die in der Uruguay-Runde erreicht wurden, verboten wurden bzw. nicht mehr zur Verfügung standen, um protektionistisch heimische Anbieter zu schützen. Die zweite Art von Regelung sind die Ausgleichsmaßnahmen, die ein Land gegen den ungerechtfertigten Einsatz von Subventionen in einem anderen Land zur Anwendung bringen kann, die sogenannten "countervailing duties". Gerade in diesem Bereich sollte nach Meinung der Kommission die EU sehr offen für Anliegen von EL sein. Der dritte Bereich ist die Anwendung der Sicherheitsmaßnahmen (safeguards). Im Falle ernsthafter Marktverzerrungen durch Importe, steht allen WTO-Mitgliedern unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit zu, Importe vor allem temporär zu begrenzen. Bei der Anwendung dieser Safeguard-Bestimmungen sieht die Kommission viele Mißbrauchsfälle und fordert striktere Disziplinen.

Wir begrüßen die prinzipielle Offenheit der Kommission gegenüber weitergehenden Forderungen der EL im Bereich der Trade Defence Instruments, denn in diesem Bereich begünstigt das WTO-Regelwerk Industrieländer und benachteiligt Entwicklungsländer. EL haben in der Zwischenzeit mehrfach auf immer noch vorhandene große Schwächen der WTO - Regeln hingewiesen. Zu den Hauptkritikpunkten gehören die folgenden: Viele Subventionen, die in Industrieländern Verwendung finden, sind von der Abbaupflicht im Subventions-Abkommen ausgenommen (non-actionable), während fast alle Subventionsformen, die EL ergreifen können, tendenziell "actionable" sind, d.h. daß ihnen countervailings duties entgegengestellt werden können. Sowohl bei countervailing-duties als auch bei Anti-Dumping-Maßnahmen sind die Verfahren zur Verstellung des Mißbrauchs sehr aufwendig und kostspielig, so daß sich EL faktisch nur mit großen Mühen gegen Mißbrauch schützen können. Im Agrarbereich sind die besonders marktverzerrenden Exportsubventionen der Industrieländer durch die Friedensklausel ohnehin vor Gegenmaßnahmen geschützt. Anti-Dumping-Maßnahmen beziehen sich in der Regel auf Mißbrauch von privaten Akteuren und sind deshalb weitgehend vom WTO-Streitschlichtungsmechanismus ausgenommen. All dies führt dazu, daß trotz der Stärkung der Regeln für die Anwendung solcher Maßnahmen, EL immer noch mit viel Mißbrauch konfrontiert sind und das Ergreifen von Gegenmaßnahmen ausgesprochen kostspielig ist. EL fehlt oft die personelle Kapazität, die detaillierten Verfahrensmaßnahmen voll auszunutzen.

Neue Runde und Entwicklung Als sehr positiv kann am Papier der Kommission bewertet werden, daß es ein extra Kapitel zum Thema Entwicklung enthält. Darin spricht sich die Kommission entschieden für die Aufnahme des Entwicklungsthemas in die neue Runde aus. Aus strategischen Gesichtspunkten ist dies leicht zu erklären, da der meiste Widerstand gegen die Aufnahme einer neuen Runde aus Entwicklungsländern kommt, die inzwischen die Mehrheit der WTO-Mitglieder stellen. Dennoch ist diese Offenheit der Kommission nicht nur aufgrund der strategischen Dimension zu bewerten. Ausdrücklich wird in diesem Kapitel eine Referenz zur nachhaltigen Entwicklung gemacht. Der Begriff wird hier am weitestgehensten definiert, als Kombination aus wirtschaftlicher, sozialer und ökologisch nachhaltiger Entwicklung. Die Kommission nimmt zudem ausdrücklich Bezug auf die Abschlußerklärungen des Weltsozialgipfels. Der breite Bezugsrahmen würde eine Thematisierung vieler Entwicklungsaspekte im Rahmen einer neuen Runde erlauben. Ziel der nachhaltigen Entwicklung auf internationaler und nationaler Ebene soll es sein, den ökonomischen Wandel im Rahmen der Globalisierung zu managen und mögliche negative Auswirkungen dieser zu minimieren.

Fünf Schwerpunkte sieht die Kommission als Teil einer Entwicklungsagenda für die neue WTO-Runde:

  • Entwicklungsländern soll geholfen werden, die bisherigen Ergebnisse der WTO-Runden effektiv umzusetzen. Die Kommission erkennt dabei die oft von EL geäußerten Schwierigkeiten bei der Umsetzung an.
  • Der Handel mit Produkten aller LLDC soll im Rahmen der WTO in allen Industrieländern bis 2003 von Zöllen befreit werden. Erneut kann sich die Kommission aber nur zu einer Formulierung durchringen, die wesentliche Einschränkungen dieser Zusage erlauben würde "essentially all products". Mit diesem Zusatz kann das gesamte Angebot nur als bedingt glaubwürdig bewertet werden.
  • Auch bei den neuen Themen, die die Kommission gerne auf der Agenda hätte, wie Investitionen und Wettbewerb, sieht sie die Befürchtungen der EL und betont deshalb, daß diese Themen so eingebaut werden sollen, daß sie einerseits entwicklungsförderlich wirken und andererseits die Ausübung nationaler Souveränität nicht in Frage stellen. Damit deutet die Kommission Kompromißbereitschaft in einigen Bereichen an, die von NRO schon seit langem gefordert werden (v.a. nationale Spielräume).
  • Die Kommission möchte sich offen zeigen, auf alle Vorschläge von EL einzugehen, die auf ihre bessere Integration in das Welthandelssystem und für ein besseres Management von Special and Differential Treatments abzielen.
  • In doppelter Hinsicht möchte die Kommission verstärkt technische Hilfe für EL bereitstellen, einmal, um mit der Implementierung der bisherigen Ergebnisse voranzukommen und zum anderen die "Regulierungskompetenz" für die Erarbeitung guter nationaler Gesetze und Verordnungen zu vergrößern. Erneut spricht die Kommission nicht an, welche Institution diese technische Hilfe vergeben soll und woher das Geld dafür kommen soll. Wir betonen an dieser Stelle noch einmal, daß dies nicht über die WTO sondern die zuständigen Internationalen Organisationen erfolgen sollte. Wir fordern die EU auf, sich generell dafür einzusetzen, daß die Nicht-Einhaltung von neuen Verpflichtungen im Rahmen der WTO durch EL nur dann vor dem Streitschlichtungsverfahren eingeklagt werden kann, wenn die zugesagte technische Hilfe in ausreichender Form zur Verfügung gestellt wurde.

Zum Schluß verweist die Kommission darauf, daß insgesamt zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung eine bessere Kohärenz verschiedener Politikbereiche notwendig sei, besonders zwischen Handels, Finanz- und Geldpolitik. Die an sich positive Aufnahme der alten Forderung von NRO nach mehr Kohärenz zwischen verschiedenen Politikbereichen wird dadurch partiell entwertet, daß der Kommissionvorschlag sich nur auf makroökonomische Politikbereiche konzentriert. Die entscheidenden Kohärenzprobleme zwischen Agrar-, Umwelt, Handels- und Entwicklungspolitik werden leider nicht benannt. Der Kohärenzbegriff bleibt deshalb ausgesprochen defizitär und die Ansprache des Themas nicht zufriedenstellend. Dennoch sollte die EU gerade für die Zusammenarbeit zwischen den multilateralen Finanzinstitutionen und der WTO zwei zentrale Themen auf die Tagesordnung setzen. Erstens sind die Finanzinstitutionen in vielen Entwicklungsländern besonders für Marktöffnung und Exportorientierung verantwortlich. Eine sorgfältige Abschätzung der möglichen Auswirkungen dieser makroökonomischen Orientierung auf nachhaltige Entwicklung, wie es von NRO gefordert wird, sollte die Politik aller Organisationen umfassen. Erst eine solche Abschätzung wird helfen Problembereiche zu identifizieren. Durch die fortschreitende Zollreduktion verlieren viele EL wichtige Teile ihres Staatseinkommens. Der Ausfall der Zolleinnahmen muß durch alternative Einkommesquellen kompensiert werden und stellt ein Problem dar, das durch Kooperation gelöst werden sollte.

Die Kohärenz soll auch durch eine verbesserte Kooperation der WTO mit anderen internationalen Organisationen erfolgen. Konkret schlägt die Kommission vor, in Seattle ein Kooperationsabkommen mit allen relevanten Institutionen zu treffen, einer Initiative, der grundsätzlich zuzustimmen ist. Die dann folgende Aufzählung von relevanten Organisationen fängt erneut mit den Internationalen Finanzinstitutionen an und nicht mit den Entwicklungs- oder Umweltorganisationen. Auch hier geht der Kommissionstext am Kern der Kohärenz- und Koordinierungsprobleme vorbei. Es verdichtet sich der Eindruck, daß der Nachhaltigkeitsbegriff, den die Kommission verwendet sich eben doch nur auf "sucessful management of economic changes of globalisation" reduzieren läßt und die anfänglich erwähnten Ergebnisse des Weltsozialgipfels doch kaum beachtet werden sollen.

Positiv ist das Anliegen der Kommission zu bewerten, die institutionellen Strukturen der WTO zu vereinfachen, um die Teilnahme von Entwicklungsländern mit ihren begrenzten Ressourcen zu erleichtern. NRO weisen seit langem auf die entsprechenden Probleme (hohe Zahl der Sitzungen, hohe Zahl informeller Sitzungen etc.) hin. Leider wird dieser Punkt nicht näher ausgeführt. Die Kommission weist zudem auf die Notwendigkeit hin, EL darin zu unterstützen, das Streitschlichtungsverfahren besser nutzen zu können. Auch in diesem Anliegen ist die Kommission zu unterstützen. Offen bleibt, wie dies geschehen soll. Spricht sich die EU für die Förderung eines unabhängigen Instituts aus, das EL beraten könnte und von der niederländischen Regierung seit kurzem gefördert wird? Positiv muß auch erwähnt werden, daß die Kommission für LLDC eine größere Flexibilität in den Aufnahmeverhandlungen bei einer neuen Aufnahme als WTO Mitglied als notwendig ansehen; denn faktisch werden LLDC beim Beitritt vor eine große Herausforderung gestellt. Längere Übergangsfristen, reduzierte Zugeständnisse etc. können LLDC bei der Aufnahme substantiell helfen.

Handel und Kern-Arbeitsstandards (Trade and core labour standards)

Dem sehr schwierigen Thema Handel und Arbeitsstandards nähert sich die Kommission vorsichtig. Sie betont die Bedeutung von Menschenrechten und Demokratie, weist auf die letzten Deklarationen der ILO vom Juni 1998 hin und formuliert ein klares Bekenntnis zur Bedeutung der ILO-Konventionen. Um Spielräume für die Behandlung des Themas zu eröffnen, formuliert sie ebenso eine klare Absage an alle Anliegen, Arbeitsstandards mittels Sanktionen durchsetzen zu wollen. Dieser Grundansatz wird von uns unterstützt, ebenso wie das Anliegen der Kommission, zu diesem Thema eine Arbeitsgruppe in der WTO einzurichten, die den Zusammenhang zwischen den beiden Themen untersuchen soll. Zuzustimmen ist der Kommission bei der Einschätzung, daß es wenig wahrscheinlich ist, daß eine solche Arbeitsgruppe eingerichtet werden wird. Allerdings wäre es wünschenswert, daß sich die Kommission nichtsdestotrotz gerade dieses Anliegens annimmt und es trotzdem in die Liste der Strategiepunkte aufnimmt, die sie formuliert hat. Für die Durchsetzbarkeit dieses Themas gilt ebenso wie für andere strittige Bereiche der Verhandlungen (z.B. Handel und Umwelt), daß es letztendlich von der Bereitschaft der EU (und anderer interessierter Länder) abhängt, EL in anderen Bereichen im "bargaining process" überzeugende Angebote zu machen.

Im Rahmen dieser Strategiepunkte möchte die Kommission erreichen, daß

  • die Zusammenarbeit zwischen WTO und ILO ausgebaut wird, daß
  • die ILO einen festen Beobachter-status bei der WTO erhält, daß
  • WTO und ILO zusammen ein gemeinsames High-Level-Meeting über "trade, globalisation and labour rights" durchführen.

Allen drei Anliegen stimmen wir zu. Bei einem solchen High-Level-Meeting sollten allerdings UNCTAD und das Hochkommisariat für Menschenrechte mit einbezogen werden. Vergleichbar den offiziellen Kooperationsabkommen, die die WTO mit Weltbank und IWF getroffen hat, sollte die WTO dies auch mit der ILO und mit den anderen relevanten Sonder- und Unterorganisationen der Vereinten Nationen schließen. Als Viertes erwähnt die Kommission die Möglichkeit im Rahmen von Allgemeinen Präferenzabkommen die Einhaltung von labour standards positiv durch Vergabe von besonderen Präferenzen zu stärken. Wir unterstützten solche Präferenzen, solang sie an zertifizierten Produkten (Forst Stewartship Council, IFOAM-Agrarprodukte, Produkte der Internationalen Fair Trade Organisation, EU-Ökoverordnung etc.) und nicht an dem politischen Wohlverhalten von Ländern ansetzen. Solche Präferenzen wären vor allem wirkungsvoll, wenn sie auch auf nicht-tarifäre Handelshemmnisse, z.B. Importquoten bei Textilien, ausgedehnt würden. Schließlich erwähnt die Kommission, daß der Dialog mit den Handelspartnern und der eigenen Zivilgesellschaft über das Thema fortgeführt werden soll, ein Anliegen, dem angesichts der Schwere vieler Verstöße gegen die grundlegenden Konventionen der ILO nur zuzustimmen ist.

Zu Kap. IV Other Issues/Weitere Themen Unter der Kapitelüberschrift "other issues" verweist die Kommission noch einmal eindringlich auf das Hauptanliegen der EU, eine umfassende Verhandlungsrunde zu beginnen, die es erlauben soll, für alle Teilnehmer abgewogene Ergebnisse zu erzielen. Die Aufnahme von Gesprächen über neue Themen (electronic commerce) sollte dementsprechend ohne vorherige inhaltliche Festlegungen erfolgen. Weitere Themen sollen Verbesserungen beim Dispute Settlement, eine größere Transparenz in der WTO und die Frage sein, wie eine verbesserte Kohärenz zwischen internationalen Organisationen erreicht werden kann. Aus unserer Sicht rechtfertigt auch dieser Punkt keine neue Verhandlungsrunde. Die Unbalanciertheit bei den Ergebnissen der alten Runde gegenüber Entwicklungsländern, macht es eher erforderlich in den Bereichen, in denen ohnehin verhandelt werden muß (z.B. Agrarabkommen) substantielle Zugeständnisse zu machen. Themen wie Transparenz und Kohärenz können ohne neue Runde behandelt werden und sollten sowieso aufgegriffen werden.

Zu Kap. V Working with Our Partners/Zusammenarbeit mit unseren Partnern

Zu Kap. VI Working with the European Parliament/Zusammenarbeit mit dem Europaparlament

Zu Kap. VII Working with Civil Society/Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft

In den Schlußkapiteln des Textes geht die Kommission vor allem auf die Akteure ein, bei denen besondere Widerstände gegen eine neue umfassende Verhandlungsrunde zu erwarten sind, und versucht sich mit möglichen Einwänden von den verschiedenen Seiten auseinanderzusetzen. Als wichtigste "Widerständler" und Skeptiker treten bislang vor allem EL auf. Diesen gegenüber möchte die Kommission noch einmal deutlich machen, daß die besonderen Anliegen dieser Ländergruppe in der geplanten kommenden Runde tatsächlich ernst genommen werden müssen, soll es zu einem Beschluß der Aufnahme einer neuen Runde kommen. Mit den EU-Beitrittskandidaten inklusive der Türkei möchte die Kommission einen intensiven Abstimmungsprozeß beginnen. Als generelle Verhandlungsstrategie wird deutlich, daß zunächst eine Zusage zu einer sehr breiten Agenda für die geplante Runde erreicht werden soll. Alle weiteren Schritte können nur nach und nach erreicht werden. Die Kommission warnt deshalb vor überzogenen Ambitionen.

Die Kommission formuliert in diesem Kapitel einen zentralen Hinweis, der vor allem nach innen in die EU gerichtet sein dürfte: Es wird im Verhandlungsverlauf nicht möglich sein, Zugeständnisse anderer Handelspartner zu erhalten, wenn die EU nicht selbst Zugeständnisse in sensiblen Bereichen (Agrar, Textil etc.) zu gewähren bereit ist. Schaut man sich die Gesamtbewertungen der Uruguay-Runde z.B. der OECD an, wird deutlich, daß die Gewinne vor allem in der EU und den USA lagen, kaum in den Entwicklungsländern. Dies verweist auf das grundsätzlich Problem hin, daß das bisherige "bargaining" innerhalb der WTO nicht immer zu gleichgewichtigen Rechten und Pflichten geführt hat, sondern die schwächeren Handelspartner substantiell weniger erreicht hat, als die großen Handelsmächte. Diese Unbalanciertheit ist vor allem dafür verantwortlich, daß so viele EL und NRO gegen die Aufnahme einer neuen umfassenden Runde sind, da dies leicht wieder auf eine Verhandlungsposition hinausläuft, in der die Industrieländer geringe Fortschritte im Agrarbereich - die sie eigentlich schon in der Uruguay-Runde fairerweise hätten geben müssen - mit erheblicher Marktöffnung im Bereich der neuen Themen gegenverhandeln wollen, eine Entwicklungstendenz, die dringend geändert werden muß. Gegen eine neue Runde zu sein, heißt für uns, daß die IL zunächst von sich aus substantielle Zugeständnisse machen müssen, besonders im Agrarbereich.

Im Hinblick auf den Umgang und die Information des Europäischen Parlaments sieht die Kommission keinen Handlungsbedarf. Die bisherige Politik, gekennzeichnet durch einen jährlichen Bericht an den Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen, hält die Kommission für gut. Zudem seien MdEP häufig zu High-Level-Meetings etc. eingeladen, so daß der Informationsfluß als gut bewertet wird. Nach unserer Ansicht war die Information weder des Europaparlamentes noch der nationalen Parlamente während der Uruguay-Runde alles andere als ausreichend oder aktuell genug, um das zu erreichen, was die Kommission möchte: "The Parliament should be in a position adequately to examine draft agreements...". Dazu wäre es notwendig, regelmäßiger über Fortschritte, Interessendivergenzen etc. Bericht zu erstatten.

Im Hinblick auf die Zivilgesellschaft betont die Kommission, daß es notwendig sei, sicherzustellen, daß die Mehrheit die Verhandlungsanliegen der Kommission unterstütze. Dazu werde es notwendig sein, viel intensiver die Gewinne der WTO-Verhandlungen öffentlich zu diskutieren und zu vermitteln. Während die Unternehmerverbände das Anliegen der EU nach einer umfassenden Runde weitgehend unterstützen, hat die Kommission bei NRO - zu Recht - erhebliche Widerstände entdeckt. Sie erwähnt, daß sie intensiv versucht habe, auf verschiedene Anliegen der Kritiker im vorliegenden Text einzugehen. Viele Anliegen werden in der Tat aufgenommen und addressiert, oft aber ohne die Besorgnis der NRO abzubauen. Positiv zu bewerten ist, daß die Kommission sich für regelmäßigere und strukturiertere Kontakte mit NRO im WTO-Umfeld einsetzen möchte, wie sie die letzten High-Level-Symposiums geboten haben. Leider enthält der Text aber keine Vorschläge, wie solche regelmäßigen und strukturierten Kontakte auf der Ebene der WTO, der EU oder auf nationalstaatlicher Ebene aussehen könnten. Auf der Ebene der WTO setzen wir uns seit langem für eine Übernahme des Akkreditierungsverfahrens des Systems der Vereinten Nationen (ECOSOC) auf die WTO ein. Dies sollte Teil des EU-Verhandlungsmandates werde
 
 

Kommentar zur Mitteilung der Kommission vom 8. Juli 1999 an die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament über die Strategie der EU für eine neue WTO-Verhandlungsrunde „The EU Approach to the Millennium Round“. (auch als englische Version erhältlich, siehe 99-1-02)

Autor:innen
Germanwatch / Forum Umwelt & Entwicklung
Publikationsdatum
Seitenanzahl
39
Bestellnummer
99-1-01
ISBN
3-9806280-8-6
Schutzgebühr
5.00 EUR

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