Weltgipfel in Johannesburg 2002: Die wichtigsten Ergebnisse und ihre Bewertung aus Sicht von Germanwatch


>> Druckversion [PDF, 45KB]
 

Die letzten Tage in Johannesburg

Montag 2.9. und Dienstag 3.9. waren die Tage der abschließenden Beratungen des Aktionsplans der Mitgliedstaaten. Gleichzeitig wurde über eine politische Erklärung der Mitgliedstaaten verhandelt und einige hundert Vereinbarungen zwischen Firmen, Staaten und nichtstaatlichen "major actors" wie NGOs wurden vorgestellt und unterzeichnet. Es wird mit einem pünktlichen Abschluss der Konferenz am 4.9. gerechnet.

In der Nacht zum Mittwoch einigten sich die Delegierten über den letzten noch offenen Punkt zur Frage der Beschneidung von Frauen und Abtreibungen. Gesundheitsvorsorge und Heilung sollen demnach an Menschenrechten, nationalen Gesetzen, kulturellen wie religiösen Werten und UN-Vereinbarungen ausgerichtet werden. Hintergrund der Menschenrechtsdiskussion war der Schutz von Frauen vor Genitalverstümmlung. Einige islamische Staaten hatten sich gegen ein solches Recht ausgesprochen, weil es in ihre kulturellen Traditionen eingreife. Die USA und der Vatikan waren gegen die dazu vorgeschlagene Formulierung, weil sie gleichzeitig ein Recht auf Abtreibung beinhalte. In den nächtlichen Verhandlungen konnten sich schliesslich die EU mit Kanada und Norwegen durchsetzen.

Wichtige Ergebnisse

Insgesamt ist es der EU und ihren Partnern in Europa aber gelungen, Rückschritt gegenüber den Ergebnissen von Rio zu verhindern. Dies war vor einigen Monaten noch befürchtet worden. In einigen Feldern konnten wichtige Fortschritte erzielt werden, die nicht mehr erwartet worden waren und zum Teil gegen den Widerstand der USA durchgesetzt wurden. So wurden klare Ziele für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung für 1,2 Mrd. Menschen bestätigt und ein erstmaliger Beschluss für die Verbesserung der Abwasserversorgung von 2,4 Mrd. Menschen gefasst. Weiterhin wurden Zielsetzungen für den Schutz der Fischbestände, den Umgang mit Chemikalien sowie die faire Verteilung des Nutzens aus der Biodiversität festgelegt. Auch sollen die Fragen nicht nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster ebenso wie die Thematik globaler öffentlicher Güter (auf US-Intervention abgeschwächt auf "global public interests") im UN-Rahmen verhandelt werden. Aus NGO-Sicht besonders positiv zu bewerten ist, dass auch die Frage der Transparenz von unternehmerischer Tätigkeit und die Entwicklung von sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen in den Aktionsplan aufgenommen wurden.

Der im Rahmen dieser diplomatischen Verhandlungen bedauerlichste Punkt ist, dass es der EU und dafür aufgeschlossenen Nicht-OPEC-Ländern in den G 77 nicht gelungen ist, für den Ausbau der klimafreundlichen nichterneuerbaren Energien quantifizierte Anteils- und Zeitziele durchzusetzen. Statt dessen soll zwar ein besonderes Gewicht auf die Entwicklung erneuerbarer Energien gelegt werden. Gleichzeitig sollen zukünftig auch "cost-effective energies" gefördert werden. Zu diesen zählen viele UN-Mitglieder jedoch auch die Kernenergie. Grund für die sehr schwache Position, die die EU zeitweise im Konferenzverlauf gezeigt hat, war vor allem ihre Unfähigkeit, sich beim Subventionsabbau in der Landwirtschaft zu bewegen - dies trotz des Engagements der deutschen Delegation und des Bundeskanzlers für diesen Abbau.

Eine Bewertung

Gemessen an den globalen Herausforderungen, aber auch gemessen an dem Aufwand des mehrjährigen Vorbereitungsprozesses sind diese Ergebnisse völlig unzureichend. Das machte auch die Mehrzahl der Beiträge der Regierungschefs im Plenum in diesen Tagen deutlich.. Das multilaterale Verhandlungssystem ist hier an Grenzen gestoßen, ohne dass es eine Alternative gäbe. Die Möglichkeiten, gegen den Widerstand des größten Industrielandes der Welt, den USA, zu verbindlichen Zeitzielen und Aktionsprogrammen zu kommen, sind einfach sehr begrenzt.

Von weiten Teilen der interessierten Öffentlichkeit war erwartet worden, dass die UN-Organisation für Umwelt und Entwicklung (UNEP) in Johannesburg aufgewertet werden könnte im Rahmen des UN-Systems. Gleichzeitig sollte die Organisation dadurch gegenüber der WTO gestärkt werden. Auch dazu hat der politische Wille der Beteiligten nicht ausgereicht. Ebenso wenig wie für eine unabhängige Kommission (Vorschlag des Bundestags "Weltkommission für Nachhaltigkeit und Entwicklung"), die in Johannesburg beschlossen werden sollte. Ohne die Absichtserklärungen, die Russland und Kanada in Johannesburg zu einer Ratifizierung des Kioto-Protokolls noch in diesem Jahr gegeben haben, wäre das multilaterale Verhandlungssystem in eine tiefe Vertrauenskrise geraten. Immerhin wird bereits seit über 10 Jahren über einen globalen Klimavertrag verhandelt, ein Thema, das in fast jeder Rede der über 100 anwesenden Staatschefs als dringlich bezeichnet wurde.

Diese fortbestehenden Unwuchten im internationalen Verhandlungssystem und einem fehlenden Vertrauen ("broken promises") der Südländer in den Norden, das vor allem von Staatschefs aus dem Süden angesprochen wurde, behindern notwendige Fortschritte. Daher konnten die für einen wirklichen Fortschritt notwendigen "painful decisions against vested interests and legitimate anxieties" (Blair) nicht erreicht werden.

Neue Wege - neue Herausforderungen für NGOs

Der von den UN gewählte Ausweg - ein erster Schritt war vor 2 Jahren das Konzept des Global Compact, der Unternehmen auf freiwilliger Basis zur Einhaltung globaler Standards verpflichtet  - ist angesichts der Schwäche des multilateralen Verhandlungssystems die Einbeziehung privater Akteure in die Umsetzung ihrer Ziele und die Durchsetzung weltweiter Standards.

Dies wurde in Johannesburg überraschend breit und vielfältig deutlich. Über 700 Firmen waren präsent, darunter die Chefs von 50 Multinationalen Konzernen. Gekonnt, aber dennoch ärgerlich vor allem BMW, das den einzigen freien öffentlichen Raum im Verhandlungsgelände mit einer großen Ausstellung zustellte. Auf NGO-Seite waren anstelle der erwarteten 50 000 Vertreter nach Schätzungen "nur" etwa 15 000 Vertreter dabei.
Erstmals standen über 200 sogenannter "Typ-2"-Vereinbarungen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure mit einzelnen nachhaltigkeitsbezogenen Projekten parallel zu den multilateralen Verhandlungen auf einer parallelen Tagesordnung und werden in das Verhandlungsergebnis einbezogen. Bislang fehlen allerdings weitgehend Standards für solche Vereinbarungen, die zunehmend auch auf die Mittel der bislang zwischenstaatlichen öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit zugreifen dürften.

Die Kritik der NGOs sowohl am Global Compact wie an diesen Vereinbarungen ist das fehlende Monitoring. Überraschenderweise ist es hier im staatlichen Teil der Vereinbarungen im Verhandlungsverlauf zu Texten gekommen, die als Einstieg in ein Regelwerk sozialer und ökologischer Kriterien für das Verhalten von Unternehmen gesehen werden können. Dies geht nicht zuletzt auf erfolgreiche Interventionen der NGOs zurück, die von der EU während der Verhandlungen aufgegriffen wurden. Sich hier einzumischen und vor allem die Kraft für ein Monitoring zu entwickeln, wird zu einer zentralen Herausforderung von NGOs im Rahmen zukünftigen globalen Regierens werden.

Ein Zeichen für diesen profunden Wandel im multilateralen System, das auch mit den Blockaden der USA für multilaterale Fortschritte in vielen Bereichen zusammenhängt, waren in Johannesburg neue Allianzen - so wie sie in Deutschland u.a. Germanwatch entwickelt hat mit e5 und e-mission 55 - zwischen auf einzelnen Feldern fortschrittlichen Unternehmen und NGOs zu wichtigen globalen Herausforderungen.(z.B. Greenpeace mit dem World Business Council on Sustainable Energy).

Im Vorfeld der Konferenz hatte der BDI mit seinem Rückzug aus einer zwei Jahre lang zwischen Regierung, Wirtschaft und NGOs vorbereiteten Rahmenvereinbarung zum weltweiten Verhalten von Unternehmen bei Auslandsinvestitionen eine wichtige Chance vertan, hierzu von Deutschland aus einen Beitrag zur Entwicklung globaler Regelungen zu leisten. Deutlich wurde in Johannesburg, dass die Öffnung fast aller Grenzen, die der Globalisierung zugrunde liegt, durch neue Vereinbarungen staatlicher aber auch nichtstaatlicher Akteure in eine nachhaltige Richtung gebracht werden muss. Ein Anfang hierzu wurde in Johannesburg gemacht. Für die Umsetzung hat Johannesburg wichtige Impulse geliefert, denen sich gerade auch NGOs noch stellen müssen.
 Dr. Michael Baumann, 4.9.02

Autor:innen
Michael Baumann
Publikationsdatum
Seitenanzahl
15
Bestellnummer
02-9-02
ISBN
3-9806280-8-6

Zuletzt geändert