Klima und Entwicklung: Den vermeintlichen Widerspruch überbrücken

Britta Horstmann

Klimawandel und Klimaschutz sind keine neuen Themen der Entwicklungspolitik. Doch die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der laufende klimapolitische Prozess, vor allem im UN-Kontext, stellen die Entwicklungszusammenarbeit vor neue Herausforderungen und zwingen sie, ihr Handlungsfeld zu erweitern. Insbesondere die Erkenntnis, dass ein Teil des Klimawandels nicht mehr aufzuhalten ist und die Folgen vor allem Entwicklungsländer treffen werden, verdeutlicht, dass auch von Seiten der Entwicklungspolitik dringender Handlungsbedarf besteht. Artikel 2 der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) benennt das zentrale Ziel: Ein gefährlicher Klimawandel soll verhindert werden. Die Ökosysteme sollen in der Lage sein, sich natürlich an den Klimawandel anzupassen, die Nahrungsmittelproduktion soll nicht gefährdet werden und eine nachhaltige ökonomische Entwicklung möglich sein.

Doch was genau heißt das? Wie viele Treibhausgase dürfen wir noch ausstoßen und um wie viel Grad Celsius darf sich die Erde noch erwärmen, ohne dass es zu einem gefährlichen Klimawandel kommt? Um die Antwort auf diese Frage und um eine klare Festlegung eines globalen absoluten Klimaschutzziels hat sich die internationale Staatengemeinschaft bisher gedrückt. Das jüngste Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltfragen der Bundesregierung (WBGU)[1] versucht eine qualitative Einschätzung und bringt es auf den Punkt. Will man einen gefährlichen Klimawandel verhindern, so darf die Erwärmung nicht mehr als maximal 2°C gegenüber vorindustriellen Werten, und darf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht mehr als 450 ppm (parts per million) erreichen.

Damit stehen alle Warnzeichen auf Rot, denn der Trend der Emissionen geht in eine andere Richtung und den Anforderungen des Klimaschutzes steht ein ungebremster Energiehunger der Industrie- und Entwicklungsländer gegenüber. Die CO2-Emissionen im Jahr 2002 sind weltweit um annähernd ein Fünftel höher gewesen als 1990. In den westlichen Industrieländern[2] war ein Anstieg von 8 Prozent zu verzeichnen. Dieses Wachstum ist vor allem auf die USA zurückzuführen, mit deutlichem Abstand gefolgt von Japan, Kanada, Spanien und Australien. Aber auch der Anteil der Entwicklungsländer ist gestiegen. Mit einem insgesamt kräftigen Emissionszuwachs von rund 58 Prozent in diesem Zeitraum, hat sich deren Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen von ca. 31 Prozent auf fast 42 Prozent erhöht[3].

Vertrauenskrise zwischen Nord und Süd

Der Anstieg der Emissionen in den Industrieländern und die eindeutige Nicht-Erfüllung ihrer Zielvorgabe gemäß der Klimarahmenkonvention, ihre Emissionen bis 2000 auf das Niveau von 1990 zurückzuführen (UNFCCC, Art. 4.2a und b), wurde von den Entwicklungsländern auf dem jüngsten Klimagipfel (COP 9) in Mailand heftig kritisiert. Die ausbleibende Reduktion von Treibhausgasen fordert eine Reaktion der Entwicklungspolitik aus zweierlei Gründen:

Auf der einen Seite sind von den Folgen des Klimawandels vor allem Entwicklungsländer betroffen und innerhalb dieser wiederum die ärmsten Bevölkerungsschichten. Bereits unter den heutigen klimatischen Bedingungen sind viele Entwicklungsländer in ihrer Ernährungssicherheit gefährdet. Daher ist es dringend notwendig, auf ein ungefährliches Stabilisierungsniveau der Treibhausgase hinzuwirken. Angesichts der globalen Folgen ihres nationalen Klimaverhaltens müssen sich Entwicklungspolitiker in Deutschland für die Reduktion von Treibhausgasen in Deutschland und Europa einsetzen und die notwendigen politischen Rahmenbedingungen schaffen.

Die Nicht-Erfüllung des Konventionsziels seitens der Industrieländer entwickelt sich auf der anderen Seite zum Vertrauensproblem zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Obwohl das Kyoto-Protokoll noch nicht in Kraft getreten war (und ist), so nahm die Frage der Weiterentwicklung des Klimaregimes nach der ersten Kyoto-Verpflichtungsperiode, also nach 2012, einen zentralen Platz bei den Debatten der zahlreichen Nebenveranstaltungen der letzten beiden Klimagipfel ein. Tritt das Protokoll in Kraft, wird man sich spätestens 2005 offiziell diesem Problem stellen müssen (Art. 3.9, Kyoto-Protokoll). Auf Grund der gerechtfertigten Vorleistungspflicht der Industrieländer blocken die Entwicklungsländer/G77 zur Zeit noch jede Debatte ab, die im entferntesten auf eine Diskussion ihrer Reduktionspflichten hinzielen könnte. Dessen ungeachtet ist aus klimapolitischer Sicht eine frühzeitige Weichenstellung im Energiesektor, gerade in den emissionsstärkeren Entwicklungsländern, dringend erforderlich, will man die Gefahren einer energie-intensiven, nachholenden Entwicklung vermeiden.

Verbindung von Klimaschutz und Entwicklung

Dies führt zu einer weiteren zentralen Herausforderung: Wie verbindet man die Interessen des Klimaschutzes mit dem berechtigten Anspruch der Entwicklungsländer, ihre Entwicklung ungeachtet des implizierten Emissionszuwachses voranzutreiben? Klimaschutz gehört nicht zu den politischen Prioritäten dieser Länder, obwohl die Energiefrage bei jedem Entwicklungsprozess eine wichtige Rolle einnimmt.

Dies wird schnell deutlich, wirft man einen Blick auf die jüngsten Zahlen der Internationalen Energieagentur. Ihr zufolge lebt derzeit ein Viertel der Weltbevölkerung ohne Zugang zu Elektrizität, davon vier Fünftel in ländlichen Gebieten, vornehmlich in Subsahara-Afrika und Südasien. Mehr als 2,4 Milliarden Menschen sind auf die Verbrennung von Biomasse angewiesen, mit oft schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit und die Umwelt. Ohne Gegenmaßnahmen wird die Zahl bis 2030 auf 2,6 Milliarden ansteigen[4].

Die Bereitschaft, jenen vermeintlichen Widerspruch zwischen Entwicklung und Klimaschutz zu überbrücken, ist allerdings bei vielen Entwicklungsländern vorhanden, beinhaltet aktiver Klimaschutz doch auch Chancen für eine wirtschaftliche Entwicklung. Gerade diese gilt es zu identifizieren. Wegweisend sind hier das „Development and Climate Project“, (www.developmentfirst.org), eine Initiative von 12 Instituten aus Entwicklungs- und Industrieländern, wie auch die aktuellen Fortschritte im Bereich der erneuerbaren Energien.

Anpassung an die Folgen

Die Empfehlung des WBGU wie auch die des Climate Action Network, einem internationalen Netzwerk von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, die Temperatur nicht über ein Maß von 2°C ansteigen zu lassen[5], impliziert bei genauerem Hinsehen ein weiteres Handlungsfeld, nämlich das der Anpassung an den Klimawandel. Zieht man die 0,6°C ab, um die sich die Atmosphäre in den letzten 100 Jahren bereits erwärmt hat, so verbleibt lediglich ein Puffer von 1,4 °C. Wie groß dieser Puffer in Wirklichkeit aber noch ist, weiß niemand genau zu sagen, denn die Treibhausgase, die sich bereits im Klimasystem befinden, sind träge und wirken noch viele Jahrzehnte bis zu Jahrhunderten nach[6].

Die Frage der Anpassung (adaptation) an die Folgen des Klimawandels ist dementsprechend zunehmend in das Blickfeld politischer Entscheidungsträger gerückt und hat im Kontext der UN Klimaverhandlungen, vor allem auf den Druck der Entwicklungsländer hin, an Gewicht gewonnen. Der dritte Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), welches in regelmäßigen Abständen den internationalen wissenschaftlichen Sachverstand zusammenfasst, nennt ausdrücklich die besondere Anfälligkeit von Entwicklungsländern und kleinen Inselstaaten für die Folgen des Klimawandels[7].

Dies verdeutlicht zwar den Handlungsbedarf, wirft aber auch Fragen für die Operationalisierung auf:

Was sind die Folgen des Klimawandels? Welche regionalen Auswirkungen gibt es? Die Wissenschaft ist zwar in der Lage, die globalen Folgen des Klimawandels zu benennen, die Folgenabschätzung für die regionale Ebene ist aber noch mit Unsicherheiten belegt. Der nächste Bericht des IPCC beabsichtigt, diese Frage intensiver zu behandeln.

Die Auswirkungen werden erst dann zum Problem oder zur Katastrophe (zumindest aus entwicklungspolitischer Perspektive), wenn Menschen davon betroffen sind. Wo sind die in diesem Sinne besonders gefährdeten Regionen und Gruppen?

Sind die ‚hot spots’ identifiziert, so stellt sich die Frage, wie man vor Ort auf Phänomene des Klimawandels reagieren und die Vulnerabilität reduzieren bzw. die Anpassungsfähigkeit an die Folgen erhöhen kann. Hier ist vor allem die lokale Analyse wichtig, denn es gibt keine pauschalen Anpassungsstrategien.

Verursacherprinzip

Die bisher eingerichteten Fonds unter der Klimarahmenkonvention, die durch freiwillige Beiträge gespeist werden, reichen nicht aus, um Entwicklungsländer in ihren Anpassungsbemühungen adäquat zu unterstützen. Die schleppenden Einzahlungen lassen die Entwicklungsländer zudem einmal mehr an der Ernsthaftigkeit der Absichten einiger Industrieländer zweifeln.

So wird die Diskussion um die Folgen des Klimawandels zunehmend auch mit der Gerechtigkeitsfrage verknüpft. Während das Verursacherprinzip bei der Reduktion von Treibhausgasen vom Ansatz her international politisch anerkannt ist, mehren sich die Stimmen, die einfordern, dass die Verursacher auch für die Folgen des Treibhausgas-Ausstoßes die Verantwortung übernehmen. Für die Weiterentwicklung des Klimaregimes werden unter anderem Fonds- und Versicherungslösungen vorgeschlagen, die anteilig auch durch einen verbindlichen Beitrag der Verursacher gespeist werden sollen[8]. Aber auch erste Klima-Klagen wurden bereits lanciert, und ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern, Nichtregierungsorganisationen und Juristen forciert dieses Thema[9].

Die Sorge um zunehmende Schäden zeigte sich bei den deutschen Akteuren der Entwicklungspolitik bisher vor allem in der Debatte um die steigenden Ausgaben für Katastrophenhilfe. Diese Mittel fehlen der auf langfristige Ziele ausgerichteten Entwicklungszusammenarbeit. Dabei gibt es zwischen der Katastrophenhilfe, der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit und der Diskussion um die Anpassung an den Klimawandel durchaus Berührungspunkte, deren Erörterung allen Seiten von Nutzen sein könnte. Ein Austausch zwischen diesen Arbeitsbereichen ist erst am Anfang.

Letztendlich bleibt die Definition von „Anpassung an den Klimawandel“ schwierig. Um so wichtiger ist die Berücksichtigung und Integration klimawissenschaftlicher Erkenntnisse in bestehende Arbeitsbereiche und die Nutzung von Synergieeffekten, die sich aus Schnittmengen ergeben, z.B. auch zum Bereich Desertifikationsbekämpfung oder dem Erhalt der Biodiversität.

Eine Frage der Risikobewertung?

Ob es Reduktions- und Anpassungsmaßnahmen geben wird und welches Gewicht sie erhalten sollen, um die Risiken des Klimawandels zu minimieren, hängt von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen ab. Diese Frage ist nicht allein auf wissenschaftlicher Ebene zu beantworten, sie hängt vielmehr auch von der gesellschaftlichen Wahrnehmung und von Faktoren wie dem Zugang zu Ressourcen ab. Während Länder wie Indien oder die kleinen Inselstaaten auf schnelle Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen drängen, weil sie sich keine Anpassungsmaßnahmen oder wachsende Schäden durch Wetterextreme leisten können, scheren Länder wie die USA aus dem Kyoto-Protokoll aus mit der Begründung, dass Klimaschutz die Wirtschaft schädige. Statt dessen betonen sie neuerdings die Wichtigkeit von Anpassungsmaßnahmen.

Die Wahrnehmung des Handlungsdrucks ist eng an die Risikoabschätzung geknüpft. Gerade in diesem Bereich sind die entwicklungspolitischen Akteure gefordert, dazu beizutragen, dass sich dieses Risikobewusstsein nicht nur auf die lokale oder nationale Ebene beschränkt. Bei keinem anderen Thema wird die unmittelbare globale Dimension so deutlich wie beim Klimawandel.

Die Frage des Handlungsdrucks stellt sich auch für die Entwicklungspolitik. Während sich die staatlichen Institutionen bestimmten Maßnahmen nicht entziehen können, weil sie zur Umsetzung der völkerrechtlich verbindlichen Klimarahmenkonvention beitragen müssen und dies im strukturpolitischen Sinne auch zu Recht als ihre Aufgabe sehen, so bleibt den nicht-staatlichen Akteuren die Entscheidungsfreiheit. Gerade für ihre Arbeit stellt sich die Frage der Gewichtung und des Stellenwertes des Themas ‚Klimawandel’. Bisher scheinen die meisten privaten Akteure der Entwicklungszusammenarbeit zwar nicht die Wichtigkeit des Themas zu bestreiten, schätzen dessen Relevanz für ihre Arbeit aber eher als gering ein. Klimaschutz wird von den meisten noch immer nur als Anliegen der Umweltverbände wahrgenommen. Wenige deutsche entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen (NROs) beschäftigen sich mit dem Thema.

Entwicklungspolitische Lobby fehlt

Dies ist bedauerlich. Gerade bei strukturpolitischen Weichenstellungen sind die entwicklungspolitischen Interessen oftmals unterrepräsentiert. Wichtige Entscheidungen, wie z.B. die Modalitäten zur Verwendung von öffentlichen Entwicklungshilfegeldern im Rahmen des Clean-Development-Mechanism (CDM), werden somit getroffen, ohne dass ein kritischer Diskurs zwischen staatlichen Entscheidungsträgern und den Entwicklungsorganisationen stattfindet. Dies gilt z.B. auch für die Festlegung der Qualitätsstandards von CDM-Projekten, die Kohärenz zu Instrumenten wie Exportbürgschaften oder für die Kommissionsmitteilung der EU zu „Klimaschutz im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit“, auf dessen Grundlage ein Aktionsplan und eine Strategie für die EU-Partnerländer erstellt werden sollen[10]. Für ein globales Querschnittsthema wie den Klimawandel ist dies fatal, denn ohne die richtigen Rahmensetzungen sind auch einzelne Projekte auf die Dauer wenig zielführend. Das Rollenverständnis und die Strukturen entwicklungspolitischer NROs scheinen ungenügend auf derartige globale Herausforderungen ausgerichtet zu sein.

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Staaten den drängenden Fragen des Klimawandels stellen, sondern auch die entwicklungspolitischen NROs. Welchen Beitrag können sie, müssen sie zum Klimaschutz leisten? Wie sehen sie die moralische Verantwortung für die Folgen des Klimawandels? Wie gehen sie mit „hausinternen“ Emissionen um? Gerade Mitarbeiter/innen entwicklungspolitischer Organisationen gehören zu den Vielfliegern.

Bleibt zu hoffen, dass das Ergebnis dieser Erwägungen besser ausfällt, als das Resümee, welches die UNFCCC-Direktorin Joke Waller-Hunter auf dem Mailänder Klimagipfel verkünden musste: „Das Klimaschutzziel wurde eindeutig verfehlt“.
 

Anmerkungen:

  1. WBGU, Über Kioto hinaus denken – Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert. Sondergutachten. Berlin 2003.
  2. Gemäß Anhang II der Klimarahmenkonvention.
  3. Hans Joachim Ziesing, Treibhausgas-Emissionen nehmen weltweit zu – Keine Umkehr in Sicht, DIW-Wochenbericht 39/2003.
  4. IEA, World Energy Outlook 2002, Osaka 2002.
  5. Vgl. www.climatenetwork.org/docs/CAN_DP_Framework.pdf
  6. Vgl. S. 26, IPCC, Climate Change 1995. The Science of Climate Change. Summary for Policy Makers, Cambridge 1995.
  7. IPCC, Climate Change 2001. Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Cambridge 2001.
  8. Vgl. z.B. http://unfccc.int/sessions/workshops.html; WBGU 2003, S. 70, www.germanwatch.org/pubpress/p020820a.htm
  9. siehe www.climatelaw.org.
  10. zur EU-Kommissionsmitteilung s. www.germanwatch.org/klak/eu-kom03.htm.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Entwicklungspolitik 4/2004
 

Autor:innen
Britta Horstmann
Publikationsdatum
Seitenanzahl
6
Bestellnummer
03-2-15
ISBN
3-9806280-8-6

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