Meldung | 12.02.2020

Geflügelindustrie soll weiter massenhaft Reserveantibiotika in Tierfabriken verschleißen dürfen - Klöckner plant Antibiotika-Freibrief für industrielle Massentierhaltungen

Kommentar

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat einen Referentenentwurf für die Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) vorgelegt, in dem unter anderem die Antibiotikadatenbank für Tiere in der Landwirtschaft geregelt wird. Anlass für die Novelle bildet laut Gesetzesbegründung, dass die Evaluierung der letzten AMG-Novelle 2014 Nachbesserungsbedarf offengelegt hat. Germanwatch fordert seit langem eine Überarbeitung des Gesetzes. Zugleich kritisiert die Umwelt- und Verbraucherorganisation, dass der vorliegende Entwurf zentrale Erkenntnisse aus der Evaluierung des bisher geltenden Gesetzes ignoriere.

So hat der Evaluationsbericht ans Licht gebracht, dass der Anteil der Reserveantibiotika, die für kranke Menschen besonders wichtig sind, bei Masthühnern und Mastputen rund 40 % des Antibiotikaverbrauchs beträgt. Das Reserveantibiotikum Colistin werde bei Masthühnern sogar sehr viel höher dosiert eingesetzt als in den Zulassungsbedingungen vorgesehen. Insgesamt stagniert die Antibiotikaverbrauchsmenge bei Masthühnern, während die Therapiehäufigkeit sogar seit 2015 ansteigt. In großen Tierhaltungen würden deutlich mehr Antibiotika eingesetzt als in kleinen und mittleren Ställen, das zeigt die Evaluierung. Die Aufforderung des Bundesministeriums an die Geflügelindustrie, ein Ausstiegskonzept aus dem hohen Antibiotikaverbrauch vorzulegen, beantwortete diese mit aus Verbrauchersicht unverantwortlichen Gegenanträgen: Das Ministerium solle zunächst Wartezeiten nach Antibiotikaeinsätzen bei Hühnern streichen auch solche Stoffe erlauben, die keine Zulassung haben.

Germanwatch-Agrarexpertin Reinhild Benning: „Die Vorschläge aus dem Haus von Bundesministerin Julia Klöckner für die Novelle der Antibiotikadatenbank werten wir als Freibrief für die industrielle Hähnchen- und Putenfleischbranche, weiterhin Reserveantibiotika missbrauchen zu dürfen – sogar oberhalb der behördlich gesetzten Grenzwerte. Die Gesetzesnovelle begünstigt dadurch die Entstehung und Ausbreitung von multiresistenten Erregern aus industriellen Tierhaltungen und steht im Widerspruch zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier. Bund und Länder müssen jetzt nachbessern und ein Ende der Reserveantibiotika in Tierfabriken festschreiben. Zugleich müssen alle Antibiotikabehandlungen bei Nutztieren in der Antibiotikadatenbank dokumentiert werden und ein Wettbewerb unter Tierärzten für die beste Tiergesundheit und den geringsten Antibiotikaverbrauch muss etabliert werden. Nur eine massiv verbesserte AMG-Novelle kann dazu beitragen, den in Deutschland überhöhten Antibiotikaverbrauch in industriellen Massentierhaltungen auf das absolut unvermeidliche Maß zu senken.“

Germanwatch mahnt, dass jeder Antibiotikaeinsatz die Bildung resistenter Erreger nach sich ziehe. Bliebe der Antibiotikaeinsatz in deutschen Tierhaltungen und insbesondere in Geflügelfabriken weiter so hoch, dann stelle dies ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar, weil Antibiotikaresistenzen auf Fleisch bis in die Küchen der Verbraucher gelangten. Germanwatch hatte bei Tests im vergangenen Jahr auf 56 % der Hähnchenfleischproben aus Diskountern resistente Erreger gefunden, davon war sogar jeder Dritte Erreger resistent gegen Reserveantibiotika, die benötigt werden, wenn andere Antibiotika bereits nicht mehr helfen.