Blogpost | 08.07.2017

Globale Energiewende hängt an Russland

Blog-Beitrag von Wladimir Tschuprow (Greenpeace Russland), Juli 2017
Blogpost

Russland ist der drittgrößte Öl- und sechstgrößte Kohleproduzent der Welt. Das Land erwirtschaftet rund ein Viertel seines Staatshaushalts mit Öl- und Gasexporten, und seine Energieversorgung beruht zu über 90 Prozent auf fossilen Brennstoffen. Russland hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.


Der geplante nationale Klimabeitrag des Landes, das fast fünf Prozent der globalen energiebedingten CO2-Emissionen verursacht, ist äußerst anspruchslos: Das "Ziel", bis 2030 auf 70 bis 75 Prozent des Emissionsniveaus von 1990 zu kommen, wurde bereits mit dem Zusammenbruch der sowjetischen Planwirtschaft vor rund 25 Jahren erreicht – selbst ohne Berücksichtigung der Senkenwirkung von Russlands Wäldern.

Dennoch hat die Unterzeichnung des Paris-Abkommens hinter den Kulissen eine erhebliche Kontroverse ausgelöst zwischen denjenigen, die die Modernisierung des Energiesektors und die Diversifizierung der Wirtschaft unterstützen, und den Befürwortern des bisherigen Wirtschaftsmodells, das praktisch vollständig auf Gewinnung und Export von Öl, Gas und Kohle aufbaut.

Suche nach nichtfossilen Geschäftsfeldern

Letztere nehmen die globale Entwicklung der erneuerbaren Energien sowie "übermäßige Anforderungen im Bereich des Umweltschutzes" als Bedrohung für die ökonomische Sicherheit Russlands wahr. Folgerichtig deuten grundlegende Indikatoren der russischen Energiestrategie darauf hin, dass Russland bis 2035 am bestehenden Energiemix festhalten will.

Gleichzeitig sehen Teile der politischen Führung und der Wirtschaft des Landes erneuerbare Energien und Umweltstandards als Chance. Dies spiegelt sich in den Erklärungen von Präsident Wladimir Putin zur Unterstützung von Wirtschaftsfeldern außerhalb des Öl-Sektors wieder, wird aber auch an konkreten Aktivitäten deutlich. Zum Beispiel beginnt der staatliche Atomtechnik-Monopolist Rosatom seine Geschäfte zu diversifizieren und beteiligt sich an Projekten zur Entwicklung erneuerbarer Energien.

Das russische Emissionsniveau ist seit 1998 trotz wachsender Wirtschaft ungefähr gleich geblieben. Diese teilweise Entkopplung ist vor allem auf die strukturelle Reorganisation der sowjetischen Wirtschaft sowie auf den Anstieg der Ölpreise gegen Ende des letzten Jahrhunderts zurückzuführen.

Grüne Wirtschaft noch am Anfang

Dennoch sind erste Schritte zu einer grüneren Wirtschaft gemacht worden. 2013 wurde ein landesweites Gesetz zur Verbesserung der Energieeffizienz verabschiedet, mit dem Ziel, die Energieintensität, also den Energieverbrauch gemessen am Bruttoinlandsprodukt, bis zum Jahr 2020 um 13,5 Prozent im Vergleich zu 2007 zu senken. Außerdem wurde in einem weiteren Gesetz ein Erneuerbaren-Ausbauziel von 2,5 Prozent der Stromerzeugung oder 6.000 Megawatt Kapazität bis 2024 gesetzt (ohne große Wasserkraft).

Im Vergleich zum Einsparpotenzial durch Modernisierung des fossilen Energiesektors sind diese Maßnahmen jedoch marginal. Derzeit wird in Russland fast jede zweite Tonne Öl, Kohle oder Gas verschwendet. Würde die russische Energiewirtschaft energieeffizient, würden die CO2-Emissionen um etwa zwei Prozent sinken – global!

Aber die geplanten Investitionen in Energieeffizienz in Russland sind zehnmal niedriger als jene für den Ausbau der Öl- und Gasförderung. Auf dem Programm der fossilen Industrie stehen viele äußerst alarmierende Projekte in der Arktis, Offshore-Ölbohrungen ebenso wie die Erschließung neuer Kohle-, Öl- und Gasvorkommen an Land.

Die Regierung gestaltet und unterstützt die fossile Entwicklung durch direkte Subventionen für die russische Ölindustrie von mehr als zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dazu kommen indirekte Subventionen wie niedrige Umwelt- und Sozialstandards und das Wegsehen der Regierung bei Umweltkatastrophen.

Umwelt kommt in den Blick, Klima noch nicht

In vielen Regionen formt sich Widerstand gegen die enorme Verseuchung durch auslaufendes Öl. Laut dem russischen Minister für natürliche Ressourcen hat diese Ölverseuchung einen Umfang 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr erreicht, wofür die Ölfirmen praktisch keine finanzielle Verantwortung tragen.

Währenddessen ziehen sich Kohle-Unternehmen aktiv aus der teureren Steinkohlegewinnung unter Tage zurück und weiten die Förderung im Tagebau aus, wobei sie oft nur 1.000 Meter Abstand zu Wohngebieten einhalten. Viele Abraumhalden bleiben unkultiviert. Die starke Luftverschmutzung durch Kohlestaub beeinträchtigt das Umland der Verlade-Häfen.

Eine Abschaffung der Subventionen für fossile Brennstoffe ist in Russland praktisch kein Thema. Die Option eines Emissionshandels oder einer Steuer auf Treibhausgase trifft auf heftige Kritik. Die Perspektive von 100 Prozent erneuerbaren Energien oder das 1,5-Grad-Ziel sind nicht einmal Teil der Debatten.

Dennoch beginnt die Vormacht der Fossilen zu bröckeln – durch wirtschaftliche Schocks von außen. Jeglicher Rückgang der Öl- und Gasnachfrage auf dem Weltmarkt sowie sinkende Energiepreise wirken sich sofort auf den Staatshaushalt aus. Die gegenwärtige Situation mit dem rückläufigen Wachstum Chinas, dem Öl- und Gas-Überangebot auf dem Weltmarkt und der Anfälligkeit der russischen Ölwirtschaft gegenüber den westlichen Sanktionen verschärft die Debatte über die Zukunft des Landes.

Klimawandel trifft Russland stark

Gleichzeitig ist Russland äußerst anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Das betrifft zum Beispiel das Auftauen von Permafrostböden in Sibirien, das die dortige Infrastruktur wie Öl- und Gas-Pipelines, Atomreaktoren und Großstaudämme bedroht. Es geht aber auch um die Zunahme von Extremwetterereignissen, vor allem von Hitzewellen und nachfolgenden Waldbränden. Laut dem russischen Umweltminister Sergej Donskoj könnten klimawandelbedingte Schäden bis 2030 auf ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen.

Die Regierung hat jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder passt sie sich an die veränderten Energiemärkte an und entwickelt in Russland neue Technologien, wofür beispielsweise Zentralbankchefin Elvira Nabiullina plädiert. Oder sie strebt die Wiederherstellung der russischen Bedeutung auf den Öl-, Kohle- und Gasmärkten an – zum Beispiel durch eine Vereinbarung mit der Opec oder weiteres Preisdumping für Förderunternehmen –, wie viele Regierungsdokumente immer noch vorschlagen.

Wie sich Russland entscheidet, hängt weitestgehend von der höchsten Ebene der politischen Führung ab. In diesem Sinne sind Gipfeltreffen wie das der G20 und das Senden direkter Signale durch die Regierungen der russischen G20-Handelspartner an die höchste politische Ebene Russlands äußerst wichtig. Die Zukunft der globalen Energiewende hängt auch davon ab, ob Russland wegen seiner extrem niedrigen Umwelt- und Sozialstandards ein Rückzugsort für die internationale Ölindustrie bleibt.


Wladimir Tschuprow ist Leiter der Energieabteilung von Greenpeace Russland


 

- Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator. Für den Inhalt tragen der Autor und Germanwatch die Verantwortung. -

- Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.klimaretter.info -

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