Meldung | 17.11.2015

Mehr Klimaschutz von G20 nötig: «Niemand sollte sich etwas vormachen»

Interview von Andreas Landwehr (dpa) mit Christoph Bals (Politischer Geschäftsführer von Germanwatch)
Christoph Bals Foto

Belek (dpa) - Die führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) müssen ihren Gipfel im türkischen Belek nutzen, um den Verhandlungen vor dem Weltklimatreffen in Paris in zwei Wochen den nötigen Schwung zu geben. Auch wenn die bisherigen Zusagen längst nicht ausreichten, könnte ein Anfang gemacht werden, um nötige weitere Einschnitte in der Zukunft einzuleiten, sagt der Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals, in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Wenn heute schon klar ist, dass selbst bei einer Einigung in Paris später nachgelegt werden muss – müsste man nicht schon im Vorfeld ehrlicherweise von einem Scheitern sprechen?

Antwort: Es geht beim Klimawandel um eine Generationenfrage - wie etwa einst bei der Abschaffung der Sklaverei. Hier soll bei voller Fahrt der Wohlstandsmotor der Weltgesellschaft ausgetauscht werden. Um nichts anderes geht es beim Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bis Mitte des Jahrhunderts. Entscheidend ist deshalb, dass Paris als Katalysator für den nächsten Schritt dieser Transformation wirkt.  Wenn der G20-Gipfel, der nächstes Jahr in China ist, einen globalen CO2-Preis auf den Weg bringt, wenn der Finanzmarkt sein Investitionsverhalten verändert, wenn die Zivilgesellschaft in vielen Staaten neuen Schwung bekommt, dann war der Gipfel ein Erfolg. Und das kann dann auch die Grundlage legen für ambitioniertere Ziele in fünf Jahren.

Frage: Also ist Paris eine Zwischenetappe?

Antwort: Ein Vergleich aus der Fußballersprache: Ronaldo hat gesagt, im Fußball gebe es zwei Aufgaben. Erstens den Ball in Strafraumnähe zu bringen. Und zweitens dann ein Tor zu schießen. Der Klimagipfel hat die Rolle, den Ball in die Nähe des Tors zu bringen. Die Tore fallen erst, wenn die nationalen Regierungen den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas beschließen, wenn die Unternehmen neue Geschäftsmodelle entwickeln, wenn es in der Zivilgesellschaft inakzeptable wird, Kohlestrom zu nutzen.

Frage: Besteht aber nicht die Gefahr, dass sich jetzt alle etwas vormachen?

Antwort: Niemand sollte sich etwas vormachen. Wenn der Klimawandel nicht deutlich unter zwei Grad oder gar 1,5 Grad abzubremsen ist, wird dies das Gesicht und die Risikolage der Welt massiv verändern.  Wir als Zivilgesellschaft wollen den Schwung aus Paris nutzen, aber uns nicht mit den Ergebnissen von Paris zufriedengeben.

Frage: Was können die G20-Führer jetzt auf dem Gipfel in Belek tun?

Antwort: Die Regierungschefs können Vorschläge für wichtige Kompromisse vorformulieren: Wie wird das langfristige Ziel formuliert, so dass es ein wirkungsvolles Investitionssignal aussendet? Kann man sich auf einen Ambitionssteigerungsmechanismus einigen, um sich alle fünf Jahre weiter dem 2-Grad-Limit anzunähern? Wie kann sichergestellt werden, dass die Industrieländer ausreichend Klimafinanzierung zur Verfügung stellen - und sich die Schwellenländer erstmals in die Pflicht nehmen lassen? 

Frage: Woran hapert es?

Antwort: Zwei Probleme sind zentral: Erstens der Einfluss der Lobby von Kohle, Öl und Gas. Zweitens ist ein Riesenproblem, dass bisher die Verhandlungen in den Blöcken Industrie- gegen Entwicklungsländer verläuft. Richtig ist zwar, dass man von armen Ländern nicht das gleiche erwarten kann wie von reichen. Aber die Welt hat sich seit 1990 verändert. Absolut stoßen Schwellen- und Entwicklungsländer 60 Prozent der Emissionen aus. Pro Kopf ist das im Durchschnitt immer noch deutlich weniger als im Durchschnitt der Industrieländer. Aber immerhin lebt ein Drittel der Menschen, die besonders viele Emissionen reduzieren, heute schon in Schwellenländern. Die alten Schablonen stimmen nicht mehr, dominieren aber noch viele Köpfe.

Frage: Wo steht die Welt bei einer Einigung in Paris – bei 3 oder 2,7 Grad? Haben wir die Erde damit verheizt?

Antwort: Vor Kopenhagen waren 2009 wir auf einem Pfad in Richtung 4,6 Grad, nach Kopenhagen ging es in Richtung 3,8 Grad - nach Paris könnten wir auf einem Pfad von etwa 3 Grad sein. Auch das ist noch völlig unakzeptabel, weil es Hunderte Millionen von Menschen vor existenzielle Herausforderungen stellen wird. Angesichts dieser mit dem Temperaturanstieg exponentiell steigenden Risiken lohnt es sich aber, um jedes Zehntel Grad zu kämpfen. Und ich hoffe, dass Paris die Wahrscheinlichkeit deutlich steigert, noch unter der Großgefahrenschwelle von 2 Grad oder gar 1,5 Grad zu bleiben.

Frage: Wäre das Zwei-Grad-Ziel noch zu schaffen?

Antwort: Es ist noch möglich, aber anspruchsvoll, unter dem Zwei-Grad-Limit zu bleiben. Hoffnung gibt etwa, dass weltweit deutlich mehr in erneuerbare Energien investiert wird, als noch vor fünf Jahren in praktisch allen Szenarien erwartet. Oder dass China 2014 weniger Kohle verbrannt hat als im Jahr zuvor. Und dass sich dieser Trend in den ersten neun Monaten dieses Jahres beschleunigt fortzusetzen scheint.

Frage: Wird es nicht immer schwieriger, je länger wir warten und aufschieben?

Antwort: Ja. Mit dem Handeln dürfen wir nicht warten. Dass die Regierungen sich noch nicht trauen, verbindlich zu versprechen, dass das Handeln zum Erfolg führt, kann ich eher verstehen.

Frage: Ist das Misstrauen der Entwicklungsländer hinsichtlich der zugesagten 100 Milliarden Dollar an Hilfen pro Jahr berechtigt?

Antwort: Die Industrieländer haben zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an öffentlicher und privater Klimafinanzierung zu mobilisieren. Das wird ein grundlegender Vertrauenstest für Paris.  Seit einem Monat gibt es nun einen ersten Vorschlag der OECD-Staaten, was bei der Klimafinanzierung einzurechnen ist. Hier muss man jetzt genau prüfen, wo sich diese Staaten schönrechnen. Viele Entwicklungsländer prüfen das derzeit. Finanzierung treibt Ambition, Ambition treibt Finanzierung. Wir brauchen diese Aufwärstsspirale.

Frage: Gehen die Zusagen der größten Klimasünder USA und Chinas weit genug? Wo könnten beide am leichtesten nachlegen?

Antwort: China hat sich von den G20-Staaten in den letzten 5 Jahren am positivsten in der Klimapolitik bewegt. Das Land will jetzt ankündigen, dass der Höhepunkt seiner Emissionen vor 2030 sein kann.  Wir glauben, dass er tatsächlich sogar vor 2020 liegen kann. Dann wäre das Land auf dem notwendigen Pfad. Die Regierung von Barack Obama hat in ihrer zweiten Amtszeit so viel gemacht, wie sie ohne Mehrheiten im Kongress konnte. Aber wir brauchen in den nächsten Jahren einen Stimmungswandel im Kongress, damit das notwendige passiert. Wenn man sieht, dass heute im Texas mehr in erneuerbare Energien als in Öl investiert wird oder dass die jahrzehntelange Klimaleugner-Strategie von Exxon nun ins Kreuzfeuer der Justiz gerät, sieht man, dass das nicht ganz chancenlos ist.

Frage: Wie weit sollte die EU nachbessern?

Antwort: 2009 in Kopenhagen war die EU noch ein Vorreiter der Klimapolitik. Heute gibt es hier weniger Dynamik als in China und den USA. Die Klimarolle der EU zehrt insbesondere von ihrer Vergangenheit, auch wenn es Ausnahmen wie Schweden, teilweise Deutschland und bis vor kurzem Dänemark gibt. Die EU hat sich ein Ziel von 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 gesetzt. Um auf einen kostengünstigen Pfad zu kommen, der in Richtung 2 Grad führt, müsste die EU ein Ziel von mehr als 50 Prozent umsetzen.


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