Raus aus der Quote – rein in die Krise

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Raus aus der Quote – rein in die Krise

Die Milchwirtschaft sollte auf Klasse statt Masse setzen
Weitblick-Bild 2/15: Grafik Milchpreisverfall

Rasanter Preisverfall: Anfang 2014 bekamen die Bäuerinnen und Bauern in der EU noch gut 40 Cent pro Liter Milch, aktuell sind es im EU-Durchschnitt nur noch 29,3 Cent pro Liter. (Quelle: Europäische Kommission 2015; Illustration: Sirup/123RF.com)

 
Für die europäischen Milchbäuerinnen und -bauern markiert dieses Jahr einen historischen Einschnitt: Die Milchquote, das zentrale Element der Marktordnung für Milch, die dreißig Jahre lang eine Obergrenze für die Milcherzeugung in der EU insgesamt und letztlich für jeden einzelnen Betrieb festlegte, wurde abgeschafft. Seit April 2015 gibt es keine staatliche Mengenregulierung mehr. Folglich können die LandwirtInnen selbst entscheiden, wie viel Milch sie produzieren. Schon im letzten Jahr, als die Quotenregelung noch in Kraft war, stieg die Produktion in Erwartung der neuen Regelung in vielen Ländern, darunter Deutschland, drastisch an. Da die Milchpreise weltweit und auch in der EU mit etwa 40 Cent pro Liter Milch ungewöhnlich hoch waren, schufen viele Betriebe neue Kapazitäten und erzeugten sechs Millionen Kilogramm mehr Milch als im Vorjahr. Zum Abschluss wurde die noch geltende Milchquote daher so stark überschritten wie noch nie. Vielen Milchbäuerinnen und -bauern stehen nun hohe Strafzahlungen ins Haus. Das höhere Angebot der EU und anderer großer Exporteure wie Neuseeland, Australien und den USA trifft derzeit auf eine kaum noch wachsende Nachfrage. Die EU ist zusätzlich vom Importstopp betroffen, den Russland im Zuge der Ukraine-Krise gegen landwirtschaftliche Produkte aus der EU verhängt hat.

Die EU exportiert vor allem Milchpulver

In der aktuellen Situation erweist es sich als Nachteil, dass viele Molkereien in der EU und gerade auch in Deutschland zuletzt vor allem in neue Trockentürme für Milchpulver investiert haben. Damit sollte die insbesondere in China deutlich gestiegene Nachfrage bedient werden. Milchpulver ist ein standardisiertes Massenprodukt, bei dem der Wettbewerb in erster Linie über den Preis stattfindet. China ist dabei eine gewisse Ausnahme, da die Menschen dort nach mehreren Lebensmittelskandalen kaum noch Vertrauen in einheimische Milchprodukte haben und für importierte Waren höhere Preise zahlen. Doch mit dem langsameren Wirtschaftswachstum in China scheinen die KonsumentInnen dort – wie auch in anderen Schwellenländern der Region – nun preisbewusster zu werden und weniger für importiertes Milchpulver ausgeben zu wollen.

Preisverfall trifft Bäuerinnen und Bauern

Die Milchbäuerinnen und -bauern in Deutschland und der EU trifft diese Entwicklung hart. Die Molkereien können Milchpulver nur zum Weltmarktpreis absetzen und kaufen den wichtigsten Rohstoff dafür – die Milch – zu entsprechend niedrigen Preisen ein. Für ein Kilogramm Milch werden derzeit deutlich weniger als 30 Cent bezahlt, in einigen Regionen sogar weniger als 25 Cent. Das deckt die Kosten selbst der effizientesten Betriebe nicht. Europaweit protestieren daher Milchbäuerinnen und -bauern und fordern Unterstützung. Auch der Deutsche Bauernverband (DBV), der noch im Frühjahr das Ende der Milchquote begrüßt und auf Exportchancen gesetzt hatte, schließt sich an. Die Forderungen des Bauernverbands sind jedoch nicht geeignet, die Ursachen der Milchpreiskrise zu beseitigen. Eine „Exportoffensive“ für die europäische Milchwirtschaft sollen die Regierungen starten und den Bäuerinnen und Bauern mit Überbrückungskrediten helfen. Molkereien wiederum sollen sich zusammenschließen, um ihre Verhandlungsmacht gegenüber dem Lebensmittelhandel zu stärken. Direkte Subventionen für Exporte fordert der DBV (noch) nicht. An der generellen Ausrichtung auf höhere Exporte und den damit in der Regel einhergehenden niedrigen bzw. stark schwankenden Preisen will der DBV ebenso wie andere etablierte Bauernverbände in der EU nichts ändern.

Exportoffensive auf Kosten afrikanischer LandwirtInnen?

Die vom Bauernverband geforderte Exportoffensive ist aus entwicklungspolitischer Sicht sehr bedenklich. Dies gilt insbesondere für Nord- und Westafrika, die als Märkte für EUMilchpulver nach wie vor wichtiger sind als China. Die EU hat in den letzten Jahren den Export von mit Pflanzenfett angereichertem Milchpulver nach Westafrika mehr als verdoppelt. Vor allem die städtische Bevölkerung mit niedrigem und mittlerem Einkommen kauft es. Es verdrängt Milch von kleinbäuerlichen Erzeugern, die ihre Produkte meist informell am Rand der Metropolen oder in kleineren Städten vermarkten. Um ihre Position noch auszubauen, haben große Molkereien – zum Beispiel aus den Niederlanden und Frankreich – afrikanische Molkereien aufgekauft. Diese sind meist darauf spezialisiert, importiertes Milchpulver weiterzuverarbeiten und zu vermarkten. Wird dieser Trend durch eine staatlich geförderte Exportoffensive unterstützt, haben westafrikanische Milchbäuerinnen und -bauern noch geringere Chancen, ihre Milch abzusetzen.

Flexible Produktionskontrolle als Alternative

Anders als der Deutsche Bauernverband setzen sich Verbände wie das European Milk Board, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft dafür ein, in Zeiten stark sinkender Preise die Milcherzeugung einzuschränken. Auch sie schlagen keine Rückkehr zur Milchquote vor, die mehr schlecht als recht funktionierte. Vielmehr soll es, solange die Preise unter einer bestimmten Schwelle bleiben, finanzielle Anreize für Betriebe geben, die ihre Produktion begrenzen. Dies soll mittel- und langfristig Erzeugerpreise sichern, die die vollen Produktionskosten decken und keinen weiteren Strukturwandel erzwingen. Das erfordert eine veränderte Strategie von Molkereien und vielen LandwirtInnen. Sie müssten mehr auf Qualität setzen, die mit höherer Wertschöpfung einhergeht, nicht auf standardisierte Massenprodukte wie Milchpulver. Sie könnten nicht nur hochwertigen Käse, sondern auch nachhaltige Methoden wie Weidehaltung oder das Füttern mit Heu als besonderen Vorzug vermarkten. Ziel ist, eine Vielzahl von Nischen für hochwertige Erzeugnisse zu schaffen und nicht möglichst viel möglichst billig zu produzieren. Angestrebt werden sinkende Milchmengen, höhere Preise und weniger Exporte, die mit der regionalen Erzeugung gerade auch in Entwicklungsländern nicht in direkter Konkurrenz stehen.

Beispiel Westafrika: regionale Absatzmärkte für die oft nomadischen RinderhalterInnen könnten stabilisiert und ausgebaut werden. Eine kohärente Entwicklungs- und Agrarpolitik könnte so eine nachhaltige Entwicklung in der Region fördern – auch für benachteiligte Gruppen.
 

Tobias Reichert

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